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Bits und Bytes als Detektive und Heinzelmännchen

RFID und Ubiquitäres Computing erobern den Alltag

von Annegret Handel-Kempf

ein Ohr Vorbei sind die Zeiten, in denen mit Computern nur der unmittelbar zu tun hatte, der vor einer Tastatur saß: Informationssysteme und Datenverarbeitung sind mittlerweile so allgegenwärtig, dass wir sie auch ohne unser Zutun permanent bedienen. Was für den Endverbraucher noch eine unheimliche Vorstellung ist, soll für Großunternehmen logistisch unumgänglich werden.

Die Briefmarke muss (vorläufig) in der Regel noch aufgeklebt, Empfänger und Absender aufs Kuvert geschrieben werden. Doch damit soll der Papierbedarf bei der Beförderung von Sendungen von A nach B künftig schon ein Ende haben: Bei der Deutschen Post AG startet ein Transportbehälter-Bewährungstest für maximal briefmarkengroße Radiofrequenz-Identifikation (RFID)-Funketiketten. Zumindest die technischen Herausforderungen der kommunikativen Datentresor-Label sollen bis zum vorläufigen Projekt-Ende im September 2008 bewältigt werden. Bisher wurden jedes Jahr mehr als 500 Millionen Papier-Infoträger benötigt, um menschliche und automatische Beförderer in Klarschrift und via Barcode über das was, wann, woher und wohin der Transportbehälter und ihrer Inhalte auf dem Laufenden zu halten. Sie sollen künftig durch RFID-Etiketten ersetzt werden.
Ein Forscherteam, bei dem das Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM mitarbeitet, entwickelt derzeit so genannte D-RFID-Tags. Diese sollen nicht nur von Scannern verstanden werden. Ergänzt durch ein Display und elektronische Tinte, werden sie auch für die Postangestellten mit einem Blick lesbar sein. Und das vier bis fünf Jahre lang, allen Umwelt-Härten, wie Waschanlagen, rüttelnden Landstraßen, Sonne und Regen, zum Trotz. Die D-RFID-Etiketten sind fest mit den Transportbehältern verbunden und so denselben Belastungen ausgesetzt, erklärt Werner John vom IZM.

Funkendes Bügeleisen

RFID vor dem Durchbruch

Bisher weiß in der Öffentlichkeit kaum jemand etwas mit RFID anzufangen, sagt Professor Bernd Scholz-Reiter von der Universität Bremen. Die Funk-Erkennungs-Chiptechnologie steht dem acatech-Konvent der deutschen Akademien der Wissenschaften zufolge kurz vor dem Durchbruch. Deutschland habe eine gute Ausgangsposition, um sich in diesem Gebiet mit enormen wirtschaftlichen Chancen an die Weltspitze zu setzen. Die Technik ermöglicht beispielsweise die Optimierung von Prozessen und Lieferketten.

Dem privaten Verbraucher sei sie noch weitgehend unbekannt, obwohl bereits zahlreiche Anwendungen im Alltag bestehen, wie etwa berührungslose Skipässe, die Tickets der Fußball-WM 2006 oder Wegfahrsperren beim Auto.

Seit 1997 verwenden die Einwohner von Hongkong zum Bezahlen von Straßenbahnfahrkarten oder von Snacks beim Laden um die Ecke, zum Öffnen ihrer Haustür und für viele andere Dinge eine einzige, mit RFID ausgestattete Chipkarte.

Die Daten können ohne Körper- und Sichtkontakt gelesen und gespeichert werden, Objekte automatisch und schnell identifiziert, Marken- und Produktpiraterie bekämpft werden, weil die Labels eine Art genetische Biografie und Ausweis darstellen. Jeder Chip besitzt einen individuellen Datensatz. Die damit verbundene Rückverfolgbarkeit ist manchen Datenschützern ein Dorn im Auge. Ängste und Misstrauen gegenüber dem Einsatz von miniaturisierter Computertechnologie im Alltag gehen häufig mit unzureichender Eigenkontrolle oder gar Fremdsteuerung der Technologie einher.

Hallo, im zweiten Gang rechts ist Ihre Lieblingsschokolade im Angebot

Doch es gibt auch Gegenargumente: Kundenkarten, die von Handelsketten ausgegeben werden, haben genau denselben Zweck. Man sammelt Daten über die Vorlieben und Kaufeigenschaften des Kunden und kommt ihm mit speziellen Angeboten, die auf die Person zugeschnitten sind, entgegen, sagt Michael Maurer, Sprecher von SoLo IT Solution. Warum sonst bekäme man Ermäßigungsgutscheine für Herrensocken immer genau dann zugesandt, wenn man gerade welche gekauft hat und sich ärgert, dass der Bon nicht schon früher im Briefkasten war?

Das österreichische Unternehmen wird in Dubai große Shopping-Center mit RFID-Kundenmanagement-Systemen (CRM) ausstatten. Beim Betreten des Geschäfts werden Karten, in die ein RFID-Chip integriert ist, vom System registriert und der Kunde erkannt. Über das CRM, in dem seine Einkaufsgewohnheiten gespeichert sind, können auf Bildschirmen aktuelle Sonderangebote, die zum Profil passen, angezeigt werden. Ob der Kunde dabei vom Display auf seinem Einkaufswagen persönlich begrüßt und mit individuellen Angeboten betreut wird, sein Handy auf ihn zugeschnittene Botschaften anzeigt, oder ein ladeneigener Bildschirm auf sein Näherkommen mit Lock-Meldungen und einem netten Guten Tag reagiert, ist bei derartigen Lösungen alles im Angebot.

Funkender Salzstreuer Im Metro Group Future Store in Rheinberg bei Düsseldorf testet die Handelskette zusammen mit Konsumgüter-, IT- und Dienstleistungspartnern RFID-Einsatzmöglichkeiten unter realen Bedingungen, wobei die Kunden entscheiden, ob sie die Anwendungen nutzen wollen. Deren Ziel: Schneller und bequemer zu shoppen. Der intelligente Einkaufswagen des Future Store erkennt zum Beispiel seinen Inhalt automatisch, beziehungsweise weist dem Kunden den Weg zu den gewünschten Produkten. Der Persönliche Einkaufsberater – ein Kleincomputer, der am Einkaufswagen befestigt wird – gibt Tipps zu Angeboten, zeigt den Standort von Artikeln an und beschleunigt den Bezahlvorgang. Info-Terminals erklären Produktdetails, möglichst auch zu Qualität und Herkunft von Fleisch, Eiern, Gemüse und Obst. Eine Intelligente Waage erkennt Obst und Gemüse automatisch. Die intelligente Umkleidekabine berät den modisch Bewussten beim Kombinieren verschiedener Kleidungsstücke.

Kaum haben sich Kunden ans schnelle Durchziehen von Barcode-garnierten Waren durch Scanner-Kassen gewöhnt, sieht das Einkaufen von morgen voll beladene Wägen vor, die zügig durch ein mit RFID-Lesegeräten bestücktes Portal fahren. Dort erscheint sogleich der Gesamtpreis der mit billigen Funkchips versehenen Waren auf einem Display – Berührungen oder gar ein Durchziehen von Menschenhand sind hier überflüssig. Doch schon wird vor den Folgen von Viren gewarnt, die hierbei eingeschleust werden und komplette Einkaufssysteme lahm legen könnten.

Für zuhause werden derweil durch Funkchips schlau gemachte Kühlschränke, Waschmaschinen und Mikrowellen getestet. Der intelligente Kühlschrank von Liebherr erkennt mithilfe von RFID, wann ein bestimmtes Produkt nachgekauft werden muss. Was und wie viel legt der Verbraucher selbst fest. Das System meldet den leer werdenden Kühlschrank automatisch an die elektronische Einkaufsliste und fordert rechtzeitig zum Verbrauch auf, wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum von Lebensmitteln abzulaufen droht.

Es funkt überall

Kein Zweifel: Wir sind im Zeitalter des so genannten Ubiquitären Computings, also allgegenwärtiger Daten-Erfassung, -Speicherung und –Verarbeitung, angekommen. Für den Begründer des Begriffs ubiquitous computing, Mark Weiser, war Ubiquitäres Computing der logische nächste Schritt in unserem Verhältnis zu den von uns verwendeten digitalen Werkzeugen. Laut Weiser handelt es sich bei Ubiquitärem Computing um Informationsverarbeitung, die sich vom Schreibtisch losgelöst hat und über die gesamte, von Menschenhand geschaffene, Umgebung verteilt ist.

Winzige Chips im Fahrzeugschlüssel, die sich mit individuellen Daten zu dessen Besitzer voll gesogen haben, können nicht nur die Bezahlung an der Tankstelle ermöglichen, sondern auch zentraler Steuerungspunkt für die automatische Einstellung von Spiegel, Sitzhöhe oder Klimaanlage sein. Intelligente Häuser bieten den von ihnen erkannten Bewohnern die pünktliche Wecker- und Kaffeemaschineneinstellung oder individuelle Nachrichteneinblendungen beim Fernsehen an, sobald sie mit ihnen auf einer Funkwellenlänge sind.

Funkender Kühlschrank Eine aktuelle Studie zur Akzeptanz der Bevölkerung gegenüber der Technikentwicklung im Informations- und Computersektor kommt zum Ergebnis, dass die Menschen in Deutschland grundsätzlich bereit sind, sich auf Technologien mit allgegenwärtiger Datenverarbeitung einzulassen. Dabei werden beispielsweise die Wohnung, die Kleidung und der Laden zu Verarbeitungs- und Vermittlungsstellen oder ein biometrisches Überwachungspflaster auf der Haut zu einer Dokumentation des Körpers, die übers Web zum Arzt gelangt. Die Studie Technikfolgenabschätzung - Ubiquitäres Computing und informelle Selbstbestimmung (TAUCIS) wurde vom Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD) und dem Institut für Wirtschaftsinformatik der Humboldt-Universität Berlin erarbeitet.

In der geplanten Ubiquitous-Computing-Technologie-Stadt New Songdo in Südkorea sollen intelligente Mülltonnen bei umweltgerechter Entsorgung selbsttätig eine Gutschrift aufs Konto des zuverlässig Trennenden veranlassen. Morgens informiert beim Blick in den Spiegel, eine ohne eigenes Zutun erscheinende Schrift über das aktuelle Wetter. Ob die Einwohner von New Songdo ihr Badewasser einlassen, pünktlich im Büro erscheinen oder ihre Einkaufsliste zusammenstellen: Jede Alltagshandlung wird zur Interaktion mit einem jederzeit präsenten – natürlich störanfälligen – Computersystem. Alles wird registriert und hat Folgen, mehr oder weniger angenehmer Natur. Permanent kommt es zu Transaktionen zwischen einem Menschen und einem informationsverarbeitenden System. Diese werden automatisch ausgeführt, ohne dass sie der betreffende Mensch veranlassen, beabsichtigen oder auch nur wahrnehmen muss. Aus Aktion und Reaktion werden Hilfe – und Überwachung.

Mittlerweile ist die gesamte Lebens- und Arbeitswelt auch hierzulande von High-Tech-Informationstechnik durchzogen. Nicht nur in der Logistik-Branche und bei der möglichst lückenlosen Überwachung der Herkunft von Nutztieren. Der TAUCIS-Studie zufolge, müssen die Menschen von Technologien überzeugt sein, um sie auch zu nutzen. Ausreichender Datenschutz, eine sicher und zuverlässig arbeitende Technik, und die Chance auf eine flexible Nutzung gehören dazu. Ubiquitäres Computing wird in der Untersuchung gleich gesetzt mit dem Einsatz sehr kleiner Sensoren und Prozessoren in Alltagsprodukten, die ständig verbunden sind und kommunizieren, sowie darüber hinaus bei Bedarf bestimmte Aktionen ausführen. Diese Fähigkeit verleihe Gegenständen eine intelligente, den Menschen unterstützende Funktion.

Verkehrszeichenerkenner tritt auf die Bremse

Selbst Extra-Augen beim Blick auf die Straße gibt es bereits: Siemens VDO hat ein Fahrerassistenzsystem entwickelt, das Verkehrszeichen automatisch erkennt und den Fahrer vor unabsichtlichem Schnellfahren bewahren soll. Die Lösung arbeitet mit einer Kamera, die die Umgebung nach vorne auf Verkehrszeichen absucht und die Informationen im Bordcomputer verarbeitet. Wird eine Geschwindigkeitsbeschränkung erkannt, so wird dies dem Fahrer am Armaturenbrett oder via Head-up-Display mitgeteilt. In Verbindung mit einem Tempomat, kann das System den Wagen automatisch auf die erlaubte Geschwindigkeit herunterbremsen, erklärt Enno Pflug, Sprecher des Automobilzulieferers. Die Verkehrszeichenerkennung soll in etwa zwei Jahren in Serie gehen.

Funkendes Zelt

Versteckt im Glasfasernetz

Ängste sind nach wie vor mit der Übermittlung von Daten an die eigene Bank verbunden. Die US-Forscher Bernard Wu und Evgenii Narimanov von der Princeton University haben eine Methode entwickelt, um Daten über öffentliche Glasfaserleitungen zu übertragen und sie dabei so gut zu verstecken, dass es nahezu unmöglich ist, sie abzufangen und zu entschlüsseln. Die Information wird in einen kurzen, starken Lichtimpuls umgewandelt, dann in einen langen, aber sehr schwachen, optischen Datenstrom gespalten und so im Grundrauschen der Glasfasernetze versteckt. Mit dem Wissen, wie die Originalnachricht aufgespalten worden ist, und einem entsprechenden optischen Gerät, kann der Empfänger die eigentliche Nachricht wieder herstellen. Funkende Schlappe Mit der Glasfaser-Verschlüsselungsmethode könnten Kunden beispielsweise heikle Informationen, die für die Hausbank bestimmt sind, transferieren. Und darauf vertrauen, dass ihr Bankgeheimnis – allem Ubiquitären Computing zum Trotz - nicht allgegenwärtig und schon gar nicht für jedermann zugänglich ist.


2006-12-27 vop Annegret Handel-Kempf, Wirtschaftswetter
Text: © Annegret Handel-Kempf
Illustrationen: ©Angelika Petrich-Hornetz
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