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Deutschland weit abgeschlagen

Die neue Unicef-Studie

Kommentar von Jutta Wilke

Brüllendes Kind Es stand auf dem Titelblatt unserer Tageszeitung: Deutschland ist in einem internationalen Vergleich einmal wieder weit abgeschlagen. Die Rede war diesmal nicht vom Fußball oder Handball. Darin sind wir ja offenbar fast unschlagbar. Die Rede war von einer Studie der Unicef und betraf unsere Kinder und deren Entwicklung.
Vor allem die emotionale Entwicklung der Kinder wurde diesmal untersucht, wobei Unicef Faktoren aus sechs Lebensbereichen einbezog. Dazu zählten die materielle Situation von Kindern, ihre Gesundheit und ihre Bildung. Die Studie berücksichtigt aber auch die Beziehungen zu Eltern und Gleichaltrigen, die Lebensweise und Risiken sowie die Selbsteinschätzung von Kindern und Jugendlichen.
Mit Platz 11 unter 21 bewerteten Nationen schnitt Deutschland denkbar schlecht ab. Hinzu kommt noch ein recht zweifelhafter Ruhm, den sich Deutschland mit Großbritannien teilt, das in der Unicef-Studie auf dem letzten Platz landete: Sowohl in Deutschland als auch in Großbritannien trinken Kinder und Jugendliche am häufigsten Alkohol. Beim Rauchen belegt Deutschland sogar einen traurigen Spitzenplatz. Sind unsere Kinder bereits emotional verkrüppelt?

Andere Nationen böten verlässlichere Lebensumwelten für Kinder innerhalb und außerhalb ihrer Familie, so Unicef-Geschäftsführer Dietrich Garlichs.
Als kinderfreundlichstes Land führen die Niederlande die Tabelle an, gefolgt von Schweden, Dänemark und Finnland. Ein wichtiges Kriterium war hierbei die Vereinbarkeit von Kindern, Familie und Beruf, und zwar nicht nebeneinander sondern miteinander.
Und da liegt in Deutschland der Hund begraben. Vereinbarkeit von Familie und Beruf bedeutet nicht allein ein ganztägiges Betreuungsangebot, sondern auch die volle Akzeptanz der Anwesenheit von Kindern mit den ihnen eigenen Bedürfnissen und gegebenenfalls die Anpassung der Arbeitszeiten ihrer Eltern an eben diese Bedürfnisse. Was in Schweden vollkommen selbstverständlich ist, ist in Deutschland undenkbar. Wenn ein schwedischer Vater am Nachmittag seine Kinder vom Hort abholen muss, dann ist für ihn jedes Meeting, jedes Telefonat eben zu Ende und niemand wundert sich darüber oder regt sich gar etwa auf.

Eine Mutter möchte wieder arbeiten? Kein Problem. Selbstverständlich können die Kleinen im betriebseigenen Kindergarten betreut werden und sich zum Mittagessen sogar mit Mama oder Papa treffen.
Nicht so in Deutschland: Ein Bekannter der Autorin brachte seinen Sohn, nachdem dieser mit Nasenbluten im Bad zusammengebrochen war, morgens ins Krankenhaus, statt pünktlich in die Firma zu fahren. Er rief von unterwegs selbstverständlich in der Firma an und entschuldigte sein Zuspätkommen. Seine Frau, die ebenfalls berufstätig ist, war zu diesem Zeitpunkt schon außer Haus. In der Firma angekommen, wurde der umsichtige Vater von einem tobenden Chef empfangen: Wozu er denn eine Frau habe, wenn die nicht mal in der Lage sei, sich selbst um die kranken Kinder zu kümmern? Der Mann hat auf der Stelle gekündigt. Sehr riskant in Deutschland, wenn man eine Familie mit drei Kindern ernähren muss. Ich kenne kaum noch eine Familie, in der der Papa nicht tage-, manchmal wochenlang im Ausland unterwegs ist. Wochenendbeziehungen sind inzwischen an der Tagesordnung, leider auch in den Familien.
Im Zeitalter der ständigen Verfügbarkeit, der Kommunikation rund um die Uhr und rund um den Globus zu jeder Tages- und Nachtzeit findet eines kaum noch statt: Kommunikation zwischen Vätern und Kindern. Weil die Väter kaum mehr zu Hause sind, sondern im Dienst der Firma unterwegs.

Auf dem Papier gibt es das Recht auf Teilzeitarbeit und Elternzeit auch für Väter. Angesichts steigender Arbeitslosenzahlen und Massenentlassungen ist es nachvollziehbar, dass kaum ein Mann den Mut hat, diese Rechte für sich in Anspruch zu nehmen. Wer heute eine neue Stelle sucht, muss vor allem eins mitbringen: Flexibilität. Was nichts anderes heißt als die Bereitschaft, seiner Arbeit notfalls auch mehrere hundert Kilometer entfernt nachzugehen, die Woche in Hotels oder auf Messen zu verbringen und seine Kinder bestenfalls am Wochenende zu sehen.

ein Kinderwagen Die Familienministerin von der Leyen sagte angesichts der Unicef-Studie: Unser gemeinsames Ziel ist es, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Familie besser lebbar ist.
Zu einer lebbaren Familie gehört aber nicht nur ein vernünftiges Betreuungsangebot. Dazu gehören vor allem auch Eltern, die noch die notwendige Zeit zum Familienleben haben und nicht nur alle paar Tage zwischen zwei Geschäftsterminen zu Hause vorbeischauen. Das wird leider oft vergessen. Und so wundert es mich nicht, dass immer weniger Paare in Deutschland noch bereit sind Kinder zu bekommen.
Es macht sicher vielen Vätern genauso wie Müttern Freude, dem Nachwuchs abends Gute-Nacht-Geschichten vorzulesen. Könnten sie dabei am Bett ihrer Kinder sitzen, statt mit dem Handy bewaffnet auf einem Hotelbett, würde es den Kindern auch viel mehr Spaß machen.


2007-02-17 by Jutta Wilke, Wirtschaftswetter
Text: ©Jutta Wilke
Schlussredaktion: Ellen Heidböhmer
Illustrationen: ©Angelika Petrich-Hornetz
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