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Ganesha

Ein Elefant im Götterhimmel

von Angelika Petrich-Hornetz

Wer ist die beliebteste Hindu-Gottheit? Einfache Frage, denn das dürfte nach wie vor der elefantenköpfige Ganesha sein. Kein Wunder, denn dieser steht genauso für Intelligenz, Wissen und Weisheit wie für Erfolg und Ausdauer. Er gilt zugleich als zuverlässiger Beseitiger von Hindernissen, und von letzteren haben auch die Bewohner Indiens mehr als genug. Es scheint also folgerichtig morgens, vor Arbeitsbeginn, vor einer Prüfung, vor dem Start eines Projekts, anlässlich einer Hochzeit, vor dem Einzug sowie vor jeder anderen neuen Unternehmung Ganesha um Unterstützung zu bitten, damit Hindernisse im besten Fall gar nicht erst auftreten.

Seine Abstammung zu klären ist für Laien nicht so einfach, und so wollen wir auch erst gar keinen wissenschaftlichen Klärungsversuch starten, denn die Mythen sind zahlreich. Er soll ein Sohn des Göttervaters Shiva sein, das dokumentiert die Schlange um seine Hüften auf vielen Darstellungen. Die mütterliche Seite ist noch komplizierter. In einem Entstehungsmythos war es eine Göttin, die sich Sorgen darüber machte, dass die Dämonen den Menschen und Göttern immer mehr Hindernisse in den Weg zur Erlösung legten. Sie lächelte deshalb Shiva strahlend an, und aus diesem Lächeln entstand Ganesha - oder dieser entsprang Shivas Stirn. In einem anderen Mythos war es Parvati, die Gattin Shivas, die Ganesha schuf. Parvati gilt als eine der Erscheinungsformen einer anderen großen Hindu-Göttin: Durga.

Parvati schuf demnach Ganesha selbst, die Angaben der Materialen wechseln. Sie stellte den Jungen zur Bewachung vor ihre Gemächer. Daraufhin schlug ihm der heimkehrende Gemahl, nämlich Shiva, wütend den Kopf ab. Als er im Angesicht der untröstlichen Parvati seiner Missetat gewahr wurde, denn es stand kein Bösewicht oder Einbrecher vor den Zimmern seiner Gattin, versprach Shiva ihr, dem Jungen den Kopf des ersten Lebewesens zu geben, das vorbei käme. Und dies war ein Elefant.

Der weit gereiste Autor Ilja Trojanow beschrieb Ganesha als eine ehemalige südindische Naturgottheit, die erst relativ spät in den hinduistischen Panthenon aufgenommen wurde. Die Elefantenverehrung war in Indien weit verbreitet, der Elefant gilt als Träger des Weltalls sowie als Wächter und wird immer noch als Symbol für Weisheit und Glück hoch geschätzt. So halten einige Gelehrte Ganesha für die Verschmelzung von alten und neueren Traditionen, womit seine Volkstümlichkeit noch unterstrichen wird.

Nicht nur seine Praxisnähe zeichnet den der Menschheit offenbar wohl gesonnenen Gott aus. So symbolisiert ein großer Elefantenkopf zwar Weisheit und Ganeshas dicker Bauch wahlweise gleich das ganze Weltall oder die Fähigkeit Gutes wie Schlechtes unbeschadet zu verdauern, aber gleichzeitig auch eine ganz bescheidene, allzu menschliche Vorliebe für Süßes. Jeder Nicht-Hindu fragt indes spätestens beim zweiten Blick, warum der Elefantenköpfige nur einen Stoßzahn hat. Auch darum ranken sich viele Mythen.

Er soll das zweite Exemplar wahlweise im Kampf – mit wem? Auch das variiert - verloren, zum Mond geschleudert oder als Griffel zur Aufzeichnung des Mahabaratha-Epos benutzt haben. Gleichzeitig bedeutet der Verlust des einen Stoßzahn die Aufgabe der Dualität von Gut und Böse - und wenn man so will, bedeutet es in jedem Fall die richtige Entscheidung für das Gute.

Es gibt unzählige Darstellungen des Ganapati, wie Ganesha auch genannt wird. Je nach Darstellung wechseln die Attribute in seinen vier, seltener zwei, Händen. Häufig trägt er ein Fangseil, einen Elefantenstock, eine Schale mit Naschwerk - in der Regel Laddus, eine indische Süßigkeit - manchmal auch eine Frucht oder Reis, oder er bildet mit einer Hand die Geste (Mudra) der Furchtlosigkeit. In manchen Darstellungen ist der Elefantenstock durch eine Axt ersetzt, auf einigen ist Ganesha mit einer Lotusblume oder einer Muschel in der Hand zu sehen oder auch mit seinem abgebrochenen Stoßzahn.

Und dann gibt es noch das zehntägige Fest im August/September zu Ehren Ganapatis, ein farbenprächtiges Spektakel, das besonders groß in Mumbai (ehemals Bombay) und Südindien gefeiert wird. Überall, draußen wie drinnen, werden Ganeshafiguren aufgestellt: kleine und große, private und öffentliche. Die großen Statuen werden in prunkvollen Umzügen zu ihren Standorten gebracht, die während der Festtage als temporäre Tempel fungieren. Am Ende aller Festlichkeiten werden die Figuren im Wasser versenkt, nicht ohne einen erneuten prunkvollen Umzug, der dank der Verwendung einer Unmenge an Farbe an Mensch, Tier und Festwagen ziemlich bunt ausfällt. Die Wasserschlacht beim Versenken der großen Ganesha-Figuren ist ebenfalls unvermeidlich. Unproblematisch ist das alles nicht, die Gewässer leiden unter giftigen Farbpulvern, tonnenweise Kokosfasern, Gips und Pappmaché, aus denen die Figuren hergestellt werden. Die traditionelle Herstellung aus Lehm nimmt ab und bleibt den kleineren Figuren vorbehalten.

Obwohl Ganesha in bestimmten Regionen auch als höchstes Wesen mit höchster Weisheit angebetet wird, bleibt er in den meisten Gegenden Indiens ein volksnaher Mittler - den nach Erlösung, aber auch nach schlichtem Glück und schnödem Reichtum strebenden Menschen freundlich gesonnen. Deshalb wird er nicht nur ehrfurchtsvoll verehrt, sondern ist bei Alt und Jung außerordentlich beliebt. Er gilt sowohl als Gott der Gelehrten als auch der Kaufleute und ist damit für Handel und Wissenschaft zuständig, kaum ein Bereich des Alltags bleibt von ihm unberührt. Dabei erinnert er ein wenig an den griechischen Hermes oder den römischen Merkur, die, Götterboten ähnlich, zwischen Menschen und Göttern unterwegs sind und gleichzeitig als letzter Weisheit Schluss und als niedere Gottheit und Helfer galten. Dieses Paradoxon vereint auch Ganesha, der in Indien als den irdischen Nöten aufgeschlossener Nachrichtenübermittler um Fürsprache bei Shiva gebeten wird.

Der Elefant wird gleichfalls von den Buddhisten verehrt, vor der Geburt Buddhas soll seiner Mutter eine weiße Ausgabe des majestätischen Tieres erschienen sein. In ganz Asien gilt das große Säugetier zudem als Glückssymbol und zumindest als geeignetes Reittier für Götter. Ganesha selbst reitet auf einer Ratte oder einer Maus – auch das ist Stoff für zahlreiche Interpretationen, von der Überwindung der eigenen Ängste bis hin zur altbekannten Überwindung von äußerlichen Hindernissen, denn die Maus kommt durch das kleinste Loch, die Ratte gilt als schlau.

Selbst in Europa blitzt an manchem Revers ein kleiner Elefant in Form einer Brosche auf. Es gibt kaum noch einen Europäer, der dem Pflanzenfresser nicht wenigstens den gebührenden Respekt entgegenbringt. Sprichwörtlich bekannt ist das Elefantengedächtnis. Es hält sich hartnäckig die Legende, dass ein Elefant ein Gesicht, eine gute Tat, aber auch Übles ein ganzes Leben lang nicht vergisst. Bei manchen ist dieser Glaube vielleicht auch das schlechte Gewissen: Elefanten wurden in der Vergangenheit gnadenlos gejagt. Elfenbeinhandel ist schon seit den 70er Jahren in Indien verboten, doch im Untergrund treibt der Schwarzhandel Blüten.

ElefantenduscheDie Elefantenjäger sollten sich lieber hüten: Ganesha ist in der Mythologie in einige Konflikte verwickelt und kann offensichtlich auch anders – ganz wie echte Elefanten. Dem Dasein als Glückssymbol zum Trotz führen die meisten asiatischen Elefanten ein anstrengendes Leben, schleppen und bewachen alles, was die Menschen sich einfallen lassen. In manchen Regionen dürfen sie im hohen Alter - ihr Leben kann theoretisch so lang wie das eines Menschen dauern - in Rente gehen, doch die meisten erreichen es nicht einmal. Die in Gefangenschaft in Europa geborenen Tiere sterben jung. In vielen Ländern hat sich die Sitte, Elefanten nur ein paar Stunden am Tag arbeiten zu lassen, längst verabschiedet. Die Tiere werden - aus wirtschaftlicher Not heraus – genauso wie Menschen ausgebeutet. Die Zahl der wild und in Gefangenschaft lebenden asiatischen Elefanten wird auf 35.000 und höchstens noch 50.000 Tiere geschätzt.

In Indien leben die bekanntesten wilden Elefanten in einem atemberaubenden Naturreservat, am Berg Anamalai. Und so schließt sich der Kreis, denn sie sollen die Re-Inkarnation Ganeshas sein. Harry Marshall hat einen wunderbaren Film über die wilden Riesen am Anamalai gedreht, den Elefantenfreunde sicher kennen.

Weniger bekannt dürfte sein, dass Ganesha nach den Überlieferungen gleichfalls Hindernisse aufbauen kann. Auch das klingt paradox, ist er doch eigentlich für deren Beseitigung zuständig. Als Eposschreiber gilt Ganesha außerdem zu Beginn eines Briefes und allen anderen Schriftstücken als hilfreich. Um Unterstützung bittende Schreiberlinge werden wohl recht zügig feststellen, in welcher Eigenschaft der elefantenköpfige Hindu-Gott ihnen dann eventuell tatsächlich erschienen ist.

Film: "Anamalai"


2007-03-30 Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
Illustrationen: © Angelika Petrich-Hornetz
Schlussredaktion: Ellen Heidböhmer
Foto: © THUR - J.Thur
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