von Angelika Petrich-Hornetz
Alle bräuchten Atomkraftwerke zur Stromerzeugung, tönt es im politischen Streit zwischen Laufzeiten und Ausstieg. Alle? Ein kleiner Ort mit rund 4300 Einwohnern in Baden-Württemberg, 25 Kilometer nördlich von Freiburg gelegen, widersetzt sich solchen Auffassungen so standhaft wie pragmatisch. Freiamt ist unter denen, die sich mit erneuerbaren Energien beschäftigen, inzwischen wohlbekannt, denn die Bürger des Örtchens im Landkreis Emmendingen frönen einem großen gemeinsamen Interesse: der Erzeugung von Ökostrom.
Rund 14 Millionen Kilowattstunden kommen dabei herum, informiert die Webseite der Gemeinde, drei Millionen mehr, als die Bürger und das Gewerbe von Freiamt selbst benötigen – und die an den Energiekonzern ENBW verkauft werden. Mittlerweile seien allein 115 Photovoltaikanlagen auf etwa hundert Dächern installiert, ständig kämen neue hinzu. Wie das funktioniert, zeigte kürzlich eines der vielen Fernsehteams, von denen die Freiämter immer öfter behelligt werden: Der hinzugezogene Neubürger sah die Anlage auf dem Dach seines Nachbarn. Ein überzeugendes Argument, um sich eine eigene anzuschaffen. Fachlicher Austausch ist in Freiamt inzwischen flächendeckend über den Gartenzaun möglich.
Freiamt hat aber auch einen erfolgreichen Windkraftverein. Dort sind die rund 300 Anteilseigener der drei von inzwischen insgesamt vier ortsansässigen Windkraftanlagen organisiert. 1997 fing der Bürgerverein an, sein Energiekonzept umzusetzen, errichtete zunächst ein 48 Meter hohes, hölzern-metallenes, windrad-ähnliches Gebilde Marke Eigenbau auf dem 700 Meter hohen Schillinger Berg, von dem aus fortan zwei Jahre lang geduldig Windrichtungen und –stärken gemessen wurden. Nach der Auswertung der Daten war schnell klar: Es würde sich lohnen.
Es sollte noch etwas Zeit ins malerische Land gehen, bis die Bürokratie geklärt, Baugenehmigungen erteilt und 2,5 Millionen Euro Eigenkapital (dank 142 engagierter Anleger aus Freiamt und Umgebung) zusammen gekommen waren, dann konnten die ersten beiden Windkrafträder des Vereins, inklusive ihren beeindruckenden 33 Meter langen Rotorblättern, auf den Berg geschleppt und aufgestellt werden. Ende Oktober 2001 lieferten sie den ersten Strom.
Strom ist längst nicht alles. So wird Warmwasser ebenfalls mit inzwischen 150 Sonnenkollektoren aufbereitet. Die Abwärme frisch gemolkener Milch (32 Grad), die sonst abgeleitet werden muss und damit sinnlos verpustet wird, nutzt ein einfallsreicher Landwirt für die Erwärmung von Wasser. Da fehlen zwar noch ein paar Grad, bis dieses sich heißes Wasser nennen kann, doch dreiviertel Erwärmung gibt’s abzüglich der Kosten immerhin weitaus billiger. Wer seine Stromrechnung kennt, weiß dies zu schätzen, vor allem, wer täglich ein paar hundert Liter heißes Wasser benötigt, um eine Melkanlage damit zu säubern. Kuh finanziert Kuh.
Neben einer Biogasanlage, die 1,6 Mio. Kilowattstunden Strom erzeugt sowie umliegende Häuser und ein Sportheim beheizt, hat das 53 Quadratkilometer große Gemeindegebiet, zur Hälfte bewaldet, nämlich auch drei kleine, uralte, aber aufgepeppte Wasserkraftwerke (erzeugen Strom für eine Bäckerei und zwei Sägewerke), Holzhackschnitzel- und Holzpelletheizungen anzubieten.
Sicher, ganz freiwillig wurden ein ehemaliger Schweine- und Rindermastbetrieb in Mußbach vor fünf Jahren nicht zum Biogaserzeuger. Die fallenden Preise gaben vor, mit Biogas zunächst nur die sinkenden Einnahmen aus der Mast aufzubessern. Das ist längst Vergangenheit. Die Entwicklung verlief auch hier – für Außenstehende - überraschend schnell, die Reinholds sind inzwischen reine Energiebauern – und retteten so ihre Existenz und ihren Hof. Der Bau einer zweiten Biogasanlage eines weiteren Landwirts wurde im Frühjahr dieses Jahres begonnen. Nebeneffekt des stromerzeugenden Ortes: Landflucht sei kein Thema mehr, gab die Bürgermeisterin dem Handelsblatt erst im Juni zu Protokoll. Den jungen Leuten gefällt’s dort, wo soviel Strom ressourcenschonend und gewinnbringend erzeugt wird.
Freiamts Geschichte der umweltfreundlichen Stromerzeugung ist faszinierend zügig: Wie das erste Mal etwas über die Pläne von den Windrädern in der lokalen Zeitung stand, zum Beispiel. Das war erst vor zehn Jahren, und zu dem Zeitpunkt schien der Ort – wie bundesweit üblich - von einer Vollversorgung mit Strom aus lokalen Quellen noch Lichtjahre entfernt zu sein.
Die Erfahrungen aus Freiamt sind für sich genommen schon interessant genug. Doch das Wichtigste ist wahrscheinlich das (Ausrufungs-)Zeichen, das die Bürger dort für andere Regionen gesetzt haben. Freiamt hält momentan definitiv die Vorreiterrolle inne, die zeigt, dass Regionen, die auf zukunftsfähige Energien setzen, davon auch unmittelbar in der Gegenwart profitieren. Von einer Vollversorgung träumt sogar noch Schleswig-Holstein, das windigste Bundesland, das immerhin als erstes bereits rund 30 Prozent seines Strombedarfs allein mit Wind decken kann. 100 Prozent und mehr, so lautet die Vorgabe aus Freiamt, sind machbar, Herr und Frau Nachbar.
2007-07-14 Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
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