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Wie Aschenputtel Karriere macht

Buchbesprechung

von Angelika Petrich-Hornetz

Die amerikanische Autorin Cary J. Broussard, die u.a. ein Hotelkonzept für reisende Geschäftsfrauen entwickelte, legt mit diesem Buch einen Ratgeber für berufstätige Frauen vor. Unternehmerinnen, Managerinnen und Angestellte, die sich trotz eines einigermaßen erfolgreichen Berufslebens so eingesperrt wie Rapunzel oder durch Kündigung bedroht wie Hänsel und Gretel fühlen, werden hilfreiche Strategien und unterhaltsame Hinweise finden, wie sie ihre Probleme lösen können, wenn sie die Herausforderung ihrer Rolle annehmen.

Das Vorwort ist mit all seinen Danksagungen etwas zu lang, und wirkt etwas holperig übersetzt. Fürs Durchhalten wird die Leserin jedoch reich belohnt: Im ersten Kapitel wird eine Klassikerin - des Arbeitslebens - analysiert: Aschenputtel. Sowohl die verkannte, erbsenzählende Buchhalterin als auch die selbständige, graue Maus wird sich in dieser Rolle wiedererkennen. Die im Ruß sitzende, unscheinbare Dienerin wird im Märchen schließlich zur Prinzessin. Die Lösung ist einfach. Denken Sie an die Fee: Broussard verordnet eine Mentorin, einen Mentor. Sie verrät u.a., wie Mentoren beschaffen sind, wie man diese erkennt und wie Sie deren Aufmerksamkeit erregen.

Ganz ähnlich wie Aschenputtel ergeht es Schneewittchen im zweiten Kapitel. Im Märchen trifft sie auf die Zwerge. Im richtigen Leben, so die Autorin, handelt es sich um Verbündete, deren Loyalität sich ein modernes Schneewittchen durch Fleiß und Teamfähigkeit erarbeiten muss. Zugleich verrät das Märchen im wahrsten Sinne des Wortes durch den Spiegel, wie vorteilhaft und gleichzeitig gefährlich gutes Aussehen im Berufsleben sein kann: Es entzündet einerseits den Neid der Königin und stimmt andererseits den Jäger derart milde, dass er die Prinzessin laufen lässt. So gibt es im Schneewittchen-Kapitel viele gute Tipps fürs Äußere, von den Haaren bis zum „erfolgsorientierten“ Outfit, bevor es zum Kern der Geschichte geht: Der Umgang mit Widersachern in der Chefetage, den „bösen Vorgesetzten“, die anders als im Märchen eben nicht grundsätzlich älter und weiblich sind, wie Broussard betont – „böse Königinnen“ können nämlich auch männlich und/oder ganz jung sein.

In einer nicht minder schwierigen Lage befindet sich im nächsten Kapital Rotkäppchen, das sich den Wolf vom Hals halten muss. Und der steht im modernen Arbeitsleben sinnbildlich vor allem für die eigene Naivität sowie für hinterhältige Kollegen, aber auch für Arbeitsüberlastung und konkurrierende Prioritäten. Gerade ehrgeizige und erfolgreiche Frauen, so die nüchterne Feststellung des Ratgebers, stehen häufig im Kreuzfeuer der Kollegen-Kritik, und ein Wolf im Schafspelz scheint für berufstätige Frauen allgegenwärtig zu sein. Diese müssen den Wolf zunächst einmal erkennen und dürfen sich nicht vom (eigenen) richtigen Weg abbringen lassen. Das heißt, moderne Rotkäppchen sollten stets zielgerichtet, leistungsorientiert und gleichzeitig vorsichtig agieren. Außerdem müssen sie Prioritäten setzen. Doch selbst wenn alle Ratschläge nichts helfen, spendet die Autorin Trost: Auch aus einer Niederlage (Rotkäppchen wird im Märchen schließlich gefressen) kann man gestärkt hervorgehen.

Märchen sind brutal, so auch das Erwerbsleben. Im dritten Kapitel geht es um die Angst gefeuert und damit von der eigenen Firma verstoßen zu werden, so wie Hänsel und Gretel von ihren eigenen Eltern verstoßen wurden. So etwas passiert den Besten, sagt das Buch - ein Satz, der die Leserin in einer solchen Situation sicher aufmuntern wird. So geht es in diesem Kapitel darum, den Weg durch den Wald zu einem neuen Job zu finden. Die vermeintliche Katastrophe kann sich damit sogar als Chance erweisen, sofern die Betroffene (sich selbst) nicht aufgibt und ebenso wenig auf die Verlockungen des nächstbesten Hexenhauses hereinfällt (in dem Hänsel immerhin beinahe sein Leben verloren hätte), sondern so findig wird, wie die Gretel im Märchen.

Nicht weniger grausam ergeht es dem hässlichen Entlein. Wer wie der kleine Schwan im Andersen-Märchen schon einmal im Erwerbsleben nichts anderes als Hohn und Spott geerntet hat oder sich schlicht deplaziert vorkam, lernt im vierten Kapitel etwas über die Notwendigkeit, die eigenen Fähigkeiten zu erkennen sowie etwas über den Weg, um genau dort zu landen, wo man wirklich hingehört. Die Entwicklung von Selbstvertrauen und Selbstwertschätzung sind die Schlüssel dazu. „Es gibt niemanden, der alles kann,“ sagt die Autorin, und das Ziel lautet keinesfalls jedermanns Liebling zu werden. Doch jeder Mensch hat besondere Talente, die es zuerst selbst zu entdecken gilt. Danach sollte man danach streben mit Menschen zusammenarbeiten, die diese Begabungen zu schätzen wissen und der Person Respekt zuteil werden lassen.

Mit dem Respekt hat auch das kleine Däumelinchen Probleme, deren Instinkt, Mut und Risikobereitschaft im fünften Kapitel in den Arbeitsalltag übersetzt werden, in dem sich nicht wenige Berufstätige als unwichtige und austauschbare Zahnrädchen eines großen, unüberschaubaren Getriebes wähnen. Die Autorin rät in großen Dimensionen zu denken und sich wie Däumelinchen Flügel wachsen zu lassen, die symbolisch für kühne Ideen und selbstständiges Arbeiten stehen. Die Autorin zieht noch ein Thema aus der Geschichte: Loyalität muss verdient werden und hat Grenzen - im Märchen gegenüber einer Maus und einem Maulwurf, die von Däumelinchen Unmögliches verlangen, nämlich unter der Erde zu leben.

Die böse Fee im Märchen Dornröschen taucht im sechsten Kapitel in Form von nicht integrierten Mitarbeitern auf, die in einer Firma großen Schaden anrichten können – ähnlich wie im Schloss. Broussards erster Hinweis zur Lektion daraus, Zitat: "Es ist gefährlich, jemanden auszuschließen und wichtig, niemanden zu vergessen, damit alle gedeihen können: Der Einzelne genauso wie das gesamte Unternehmen.“ So weit, so gut. Doch dass ausgerechnet Dornröschen eine Parabel für Integration wird, hätte man vor der Lektüre des Ratgeber wohl kaum erwartet. Und es klingt schlüssig. Wie man die Dornenhecke durchdringt, Diskriminierung, ein faires Gehalt, Beförderungen und warum Sie immer ein „Ersatzgedeck“ parat haben sollten sind die Themen hier.

Erschöpfte Karrierefrauen und berufstätige Mütter finden im nächsten Märchen die roten Schuhe ihr Pendant. Tag und Nacht bis zum Umfallen tanzen zu müssen gibt zumindest ein passendes Bild für die Häme ab, mit der diese stets beobachtet werden. Ist der Preis dafür, dass diese Frauen sich auf das Abenteuer beruflichen Erfolgs und finanzieller Unabhängigkeit eingelassen haben, nicht viel zu hoch? Die einfache Antwort lautet: Arbeit darf nicht außer Kontrolle geraten. Die Autorin rät zum Delegieren, Nein-Sagen, Prioritäten setzen, Abgrenzen und Verhandeln. Damit sind es klassische Führungsqualitäten, die Karrierefrauen und berufstätige Mütter entwickeln müssen, um sich nicht tot zu tanzen oder tot tanzen zu lassen.
Die Autorin beschönigt hier nichts, harte Tatsachen werden beim Namen genannt: Immer mehr Frauen arbeiteten keineswegs deshalb, weil sie sich etwa selbst verwirklichen wollen, sondern weil sie schlicht müssen, um ihre Kinder und sich selbst zu finanzieren. Statt ein schlechtes Gewissen zu pflegen, sollten sie stolz auf sich sein – und ab und zu auf Dienstreise gehen.

Informationen zurückzuhalten, etwa mit der Absicht die eigene Position zu sichern, funktioniert dagegen genauso schlecht wie das Wegsperren von Rapunzel, mit der sich das neunte Kapitel beschäftigt. Die sang glockenhell aus ihrem Turm heraus und prompt hörte ein echter Prinz ihre Stimme. Damit fand Rapunzel trotz ihrer Gefangenschaft einen treuen Verbündeten. Das heißt übersetzt ins Berufsleben, man sollte sich schon äußern, wenn man etwas will, man sollte kommunizieren und sein Wissen mit anderen teilen. Eifersüchtige Hexen verlieren indes alles, während sie versuchen ihre Mitmenschen zu kontrollieren, indem sie ihnen Informationen, Kontakte, Hilfe und Fachwissen vorenthalten. Und diese Hexen finden sich im Berufsleben in Form von Männern oder Frauen, als Vorgesetzte oder Kollegen, als jüngere oder ältere Mitarbeiter. So mancher Chef äußert sich Dritten gegenüber aus rein egoistischen Motiven nur deshalb wenig positiv über seine beste Mitarbeiterin, weil er sie schlicht nicht verlieren will. Die Rapunzel der Gegenwart muss Sendungsbewusstsein entwickeln, ihre Stimme erheben und kann dann auch von ihrem Schreibtisch aus die Welt verändern - so wie im Märchen vom Turm aus.

Die Schöne und das Biest im letzten Kapitel ist ein Märchen für geborene Führungsfrauen und Unternehmerinnen. Schließlich ist „Belle“ die bislang einzige der Märchenheldinnen, die den Prinzen erlöst und nicht wie gewöhnlich umgekehrt. Von Anfang an strebt die Schöne nach Wissen (Büchern) und Abenteuern (raus aus dem Dorf, raus in die Welt). Sie trifft äußerst unpopuläre Entscheidungen und erkennt das Potenzial des Biestes, lange bevor die anderen überhaupt ahnen, was los ist. Sie ist anders als ihre Schwestern, die sie dafür ständig verspotten. Deshalb kann sich Belle nur auf sich selbst verlassen und muss eigenständig entscheiden - ohne den Rat von Verbündeten (Zwerge) oder die Hilfe von Mentorinnen (Feen). Allein ihre Weitsicht und ihr Handeln bewirken die positiven Veränderungen und die Verwandlung des Monsters in einen Prinzen. „Führungspersönlichkeiten gibt es auf jeder beruflichen Ebene“, heißt es in diesem Kapitel. Wer dies erkennt, sollte sofort damit beginnen Verantwortung zu übernehmen, statt sich noch länger darüber zu ärgern, anders zu sein. Broussards eindringlicher Rat: „Gehen Sie Risiken ein und betreten Sie das Schloss“.

Die meisten Menschen, die in einer unbefriedigenden Arbeitsituation stecken, wissen zunächst oft nicht, an was es genau liegt. Wer sich jedoch so verkannt wie Aschenputtel, verfolgt wie Schneewittchen oder angefeindet wie Rotkäppchen fühlt, hat eine gar nicht so schlechte Startposition eingenommen, ist die Autorin überzeugt.
Märchen sind genauso gnadenlos wie die Wirtschaft und das Erwerbsleben der Gegenwart. Doch Märchen handeln immer von Verwandlungen - zum Positiven hin. In der Gegenwart verharren viele dagegen in unbefriedigenden Jobs und einem unerfüllten Arbeitsleben. Das Buch regt dazu an, etwas zu verändern, über die Bilder und die Rollen aus den Märchen sowie über die eigene berufliche Situation nachzudenken und endlich Verbesserungen zu planen um diese schließlich zu verwirklichen.

Wie in vielen Ratgebern, geht es auch hier oft um Selbstmarketing, die Autorin ist selbst PR- und Marketing-Beraterin. So ist das informative und unterhaltsame Buch zwar kein tiefenpsychologisches Werk, wenn auch durchaus psychologisch, doch es lebt vor allem von seinem gelungenen Ansatz, die eigene – nicht einfache - Lage zu erkennen, von der aus man tatkräftig an der Verbesserung der Karriere, des Berufsalltags oder auch nur des eigenen Selbstbilds arbeiten kann.

Broussard findet die große Gemeinsamkeit zwischen Märchen und Berufsleben: In beiden geht es nicht zimperlich zu. Gut und Böse, Siegen und Scheitern liegen hier und dort sehr nah beieinander. Und manche Szene zwingt regelrecht zur Veränderung. Die Autorin greift dabei die verschiedensten Situationen und gleich mehrere Rollenbilder auf, in denen erwerbstätige Frauen heutzutage (fest-)stecken können und ermuntert sie, das eigene berufliche Schicksal aktiv in die Hände zu nehmen. Manchmal wird auf diese Weise sogar ein Karrieremärchen wahr, wo vorher lediglich noch Hoffnungslosigkeit regierte. Schließlich verbindet der Ratgeber amerikanischen Optimismus mit europäischer Nüchternheit sowie das uralte Wissen aus den Märchen, dass einem nichts geschenkt wird mit der amerikanischen Tellerwäscher-Mär, dass alles möglich, wenn man nur will.

Während US-Ratgeber europäischen Lesern manchmal etwas plakativ bis platt vorkommen, flackert in diesem Buch der sonst chronisch überbordernde Optimismus nur sporadisch auf und findet zurück auf den Boden der Realität. Insgesamt wirkt das Buch damit deutlich anwendbarer – und das ausgerechnet beim Thema Märchen – als viele andere Karriereratgeber, unter anderem deshalb, weil sich die Autorin nicht scheut, hässliche Themen, fiese Personen und gemeine Situationen zu schildern, wie diese sowohl im Märchen als auch im Berufsleben nun einmal vorkommen. Diese gilt es zu meistern, wenn man etwas erreichen will. Das kann zwar schwierig werden, ist jedoch machbar, lautet die pragmatische Botschaft.

Ein modernes Aschenputtel träumt heute also nicht nur von einem ganzen Prinzen und einem halben Königreich, sondern erarbeitet sich zumindest das Königreich strategisch – fast genauso wie im Märchen. Das Buch von Cary J. Broussard gibt der Leserin die dazu notwendigen Denkanstösse und Strategien sowie zahlreiche nützliche Tipps an die Hand, die nur eine geben kann, die genau weiß, wovon sie spricht. Empfehlenswert.

Buch-Werbung + Info:
Wie Aschenputtel Karriere macht
von Cary J. Broussard
erschienen bei Campus
ISBN 978-3-593-38421-4

2008-06-02 Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
Foto Banner: © Anelika Petrich-Hornetz, Birgid Hanke
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