von Moon McNeill
Wer in diesem Lande durch Einwirkung von Chemikalien im Niedrig- oder Hochdosisbereich an einer Umwelterkrankung leidet, dem gnade Gott. Er wird als Hypochonder und psychisch Kranker gebrandmarkt und von der Gesellschaft als Sonderling an den Rand geschoben. Psychosomatose oder Ähnliches heißt es dann lapidar im Arztbrief. Und so etwas braucht keine Entgiftungsbehandlung oder Immuntherapie. Doch neben jenen, die am so genannten Sick Building Syndrome, an der Chronischen Chemikalienintoleranz oder ähnlichen Erkrankungen leiden, gibt es auch Zehntausende von Menschen in Deutschland, die einfach generell hypersensibel sind. Sie haben eigene Foren, es gibt mittlerweile verschiedene Bücher über dieses Phänomen. Man sollte sie lesen.
Und wie sich die Dinge gleichen: Obwohl sie im medizinischen Sinne nicht krank sind, werden auch diese Menschen häufig als Mimosen, Schwächlinge oder Hypochonder angesehen. Sie haben schon als Kinder Schwierigkeiten, ein Zuviel an Reizen zu verarbeiten und ziehen sich öfter als andere in ihre eigene Welt zurck. Andererseits nehmen sie auch weitaus mehr Reize auf, weil sie eine erhöhte Fähigkeit zur Wahrnehmung haben. Sowohl die Aufnahme als auch die Verarbeitung von Reizen geschieht auf einem deutlich anderen Niveau als beim Durchschnittsmenschen. Hochsensible spüren mehr Schwingungen, nehmen mehr Einzelheiten und Details wahr und ziehen mehr Schlüsse daraus.
Das alles klingt nach einer großen Gabe und tatsächlich kann der Hochsensible diese Fähigkeiten auch nutzen. Vorausgesetzt, er erkennt sie. Denn oft gehen sie in einer Überflutung von Reizen, Analyse- und Denkprozessen unter und werden von einem Zuviel an anderen Eindrücken überlagert. Intuitives Verstehen und Mitfühlen können, sind beim Hochsensiblen im hohen Maße ausgeprägt. Genau diese Fhigkeiten können aber auch enorm belasten, weil ein solcher Mensch die Probleme anderer im besonderen Maße wahrnimmt und oft genug auch aufgeladen bekommt. Nicht nur das: Er erkennt auch schneller den Lösungsweg und möchte daher helfen, dass der andere diesen auch erkennt. Was wiederum dazu führt, dass andere ihm erst Recht ihre Probleme aufladen, denn er wird als guter Zuhörer und Versteher Eindruck machen, der immer einen klugen Rat weiß. Nicht selten resultiert daraus seelische Ausbeutung.
Der Hochsensible muss sich also eine Situation erschaffen, in der er seine Gaben nutzen kann, ohne dass sie ihn erschlagen. Dies aber ermöglicht die um Anpassung und produktionsgerechtes Funktionieren bemühte Mitwelt nicht immer. In der Welt der Menschen sind ökologische Nischen für Sonderanfertigungen rar. Man hat zu Funktionieren, und falls man das nicht im normalen Rahmen praktiziert, wird man aussortiert. Basta. Woher aber wollen wir wissen, ob die Evolution hier nicht einen Menschentypen erschafft, der ganz besonders gut in der Lage ist, eine immer komplexere Welt zu überleben? Mit welchem Recht maßen wir uns an, darüber ein Urteil zu fällen?! Vielleicht macht es gerade Sinn, wenn man hochempfindlich auf Chemikalien wird, weil man ihnen dann besser aus dem Wege gehen kann und unmißverständlich Forderungen nach einer gesünderen Umwelt aufstellt?! Vielleicht ist es nützlich, dass Menschen mehr Reize als andere wahrnehmen und auch verstehen, denn wer versteht sich heute schon noch? Nicht nur die Welt wird komplexer in ihren Zusammenhngen, die Psyche ist dem ebenfalls unterworfen. Gut also, wenn einige tiefer sehen können und uns wachrütteln.
Hochbegabung wird allseits beklatscht, obwohl auch sie oft einseitig sein kann und damit ihre Schattenseiten hat. Doch eine solche Begabung lässt sich oft in bare Münze umsetzen, insbesondere, wenn die betroffene Person wissenschaftlich arbeiten kann. Nur bei der Chemikaliensensibilität oder der Hochsensibilität schreien alle grundsätzlich nach dem Psychiater, denn diese Menschen passen nicht in die normalen Raster. Auch im Berufsleben kommen sie oft nicht zurecht und kosten daher den Staat Geld. Dies wird zwar gerne an allen möglichen Stellen zum Fenster hinaus geworfen – aber hier, bitteschön, ziehen wir den Strich und sagen: Dafür zahlen wir nicht. Wer ist hier eigentlich krank: Diese Haltung oder der Hochsensible oder Chemikalienintolerante? Interessant sind übrigens die Parallelen zwischen beiden. Beide nehmen insbesondere Geruchsreize und Geräuschreize stärker wahr und reagieren darauf auch körperlich. Beide leiden an einer Überflutung von Reizen, seien sie nun chemisch oder akustisch, als Duftreize oder als emotionale Überflutung präsent.
Man darf davon ausgehen, dass viele Chemikalienintolerante vorher Hochsensible waren und unter den Hochsensiblen auch Chemikaliensensible sind. Macht es nicht vielleicht Sinn, dass es immer mehr Menschen gibt, deren Sinne nicht abgestumpft, vielfach überlagert und einem Paradigma der zunehmenden Gefühllosigkeit folgend gleichgeschaltet sind? Diese Frage darf gestattet sein. Sie muss sogar gestellt werden.
Zuletzt: Ein Gruß an alle Hochsensiblen dieser Welt. Möget Ihr bleiben, wer Ihr seid und Euch entfalten, denn Euer Beitrag zum Leben ist für jede Gesellschaft kostbar. Wir haben dies nur vergessen. In indigenen Gesellschaften macht und machte man solche Menschen zu Schamanen und Heilern, zu Weisen und Priestern. Schult Euch in dem, was Euch ausmacht und werdet gesellschaftsfähig oder - wie man heute oft sagt: zukunftsfähig. Dann habt Ihr auch eine Zukunft. Lasst Euch nicht zu Auslaufmodellen einer Gesellschaft erklären, die sich selber nicht überleben wird.
2008-04-01 Moon McNeill, Wirtschaftswetter
Text: ©Moon McNeill
Foto, Banner: © Birgid Hanke, Angelika Petrich-Hornetz
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