Kolumne
von Jutta Wilke
Im Grunde weiß ich es schon im Februar: Der nächste Sommer kommt bestimmt. Und mit ihm die nächste Badesaison. Letztes Jahr am Strand, da habe ich mich noch verschämt in ein XXL-Badelaken gehüllt, damit niemand meinen alten ausgeleierten Badeanzug der Marke biedere Hausfrau sehen kann, vorsichtig bin ich bis zu den Oberschenkeln in die Fluten gestiegen, um dann schnell abzutauchen.
In diesem Sommer soll das anders werden. Schon im April fange ich an zu hungern. Im Mai erliege ich dann dem Frustessen, weil nach vier Wochen Diät immer noch nicht die versprochenen zehn Kilo runter sind, sondern bestenfalls zehn Gramm, und hungrig bin ich obendrein. Anfang Juni werde ich langsam nervös. Der Sommer steht unmittelbar vor der Tür, die Temperaturen sind schon rekordverdächtig, nur ein neuer Badeanzug ist noch nicht in Sicht. Wenn ich das Projekt in diesem Jahr umsetzen will, dann muss ich jetzt damit anfangen, im nächsten Monat ist es zu spät. Diät hin oder her, entschlossen betrete ich eine Umkleidekabine mit einem Arm voller Badeanzüge in einer dezenten Größe. Dass schon das erste Teil nicht recht über den Po gehen will, schiebe ich noch auf den schlechten Schnitt. Beim zweiten Stück werde ich nachdenklich, spätestens beim dritten hülle ich mich in mein T-Shirt, stoße mir das Knie an der Kabinenwand bei dem Versuch, in meine Jeans zu schlüpfen und husche auf Socken verschämt zu dem Drehständer zurück. Während ich die Badeanzüge wieder bei dem Schildchen mit der schönen Zahl 38 einsortiere, versuche ich möglichst unauffällig die Auswahl hinter der 42 zu sondieren. Jetzt nur nicht erwischen lassen. Zack – schnappe ich mir drei Modelle der undankbaren Größe und gehe zurück in die wunderbar ausgeleuchtete Kabine. Hatte ich eigentlich schon erwähnt, dass sämtliche Neonfarben mich schrecklich blass und käsig machen? Die Kombination von Neongrün mit den Neonröhren in der Kabine lässt meine Haut umgehend die Farbe eines Grottenolms annehmen. Gibt es eigentlich eine Farbberatung für Grottenolme?
Beim Ausziehen der Jeans stoße ich mir das andere Knie, mein T-Shirt zeigt schon beachtliche Schweißflecken. Ich greife zum ersten Badeanzug, immerhin lässt er sich über den mit Slip behosten Po ziehen. Ich ziehe noch ein Stückchen höher, schließlich hätte ich das Teil auch gerne über der Brust, da klemmt dann der Badeanzug plötzlich im Po statt drüber, der Beinausschnitt endet irgendwo in Bauchnabelhöhe und aus den dezent verteilten Spiegeln schauen mich meine Oberschenkel vorwurfsvoll an. Warum hast du im Winter nichts gegen unsere Cellulitis getan, scheinen sie zu fragen. Also wieder runter mit diesem Teil, es gibt ja noch mehr Auswahl. Diesmal war es wieder das rechte Knie, das ich mir anstieß. Ich habe Teil Nummer zwei gerade bis unter die Brust gezogen, da erscheint der Kopf einer Verkäuferin zwischen den Gardinen: Passts?! Ich zucke zurück, sie starrt auf meinen Busen und kreischt: Die Unterwäsche müssen Sie aber drunter behalten! Vor der Kabine recken die ersten Männer interessiert die Köpfe. Als ich das gute Stück endlich so zurechtgezupft habe, wie es wohl getragen werden soll, lenken mich der bequeme Baumwollschlüpfer, der rechts und links aus dem Badeanzug heraus quillt und die BH-Träger (warum musste ich ausgerechnet heute den fleischfarbenen BH wählen?) nur minimal ab.
Viel schlimmer ist der Bauch, der bei diesem Modell durch ein kreisrundes Loch exakt in der Bauchmitte adrett betont wird. Ich ziehe mich wieder an (linkes Knie diesmal) und hänge die Badeanzüge zerknirscht zurück. Neben mir blättert das diesjährige Topmodell von Heidi Klum lässig in den Einteilern. Verstohlen schiebe ich meine Stücke auf den Ständer, da nähert sich von hinten die Verkäuferin: He, Sie! Hängen Sie die Sachen wieder zu den 42ern, wo Sie die hergenommen haben! Ich senke beschämt den Kopf und wünsche mir zu meinem Äußeren die passende Grotte. Ich such was für meine Schwiegermutter, nuschele ich in Richtung Topmodell. Dann beschließe ich, mir für diesen Sommer ein riesiges Badelaken in den aktuellen Modefarben zu kaufen. Der alte Badeanzug tut’s ja eigentlich auch noch. Und nächstes Jahr nehme ich dann ab. Und dann kaufe ich mir einen hübschen Badeanzug in Größe 38.
2008-07-01 Jutta Wilke, Wirtschaftswetter
Text: ©Jutta Wilke
Illustration + Themenbanner: ©Angelika Petrich-Hornetz
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