von Angelika Petrich-Hornetz
74 Prozent aller Deutschen* würden Barack Obama wählen, ergab im August 2008 eine Umfrage von Forsa im Auftrag der Welt-Gruppe und n-tv. Das konnte man einen Monat zuvor fast schon ahnen, als der demokratische Präsidentschaftskandidat im Juli an der Siegessäule in Berlin vor 200.000 Menschen auftrat. Flugs beeilte sich das republikanische Lager kurz darauf die Deutschen als kriecherisch zu bezeichnen, was die Betroffenen an einen gewissen Herrn Rumsfeld – inzwischen schon lange nicht mehr US-Verteidigungsminister – erinnerte, der es Dank der deutschen Weigerung am Irak-Krieg teilzunehmen, schon einmal ähnlich mit einem alten Europa formuliert hatte, das an Bedeutung aber abnehme. Diese Argumentation war im Juli 2008 jedoch ein bisschen zu früh aus der Republikaner-Pistole abgeschossen worden, denn wie kürzlich bekannt wurde, erfreut sich Barack Obama außer in Deutschland auch in 21 weiteren Ländern großer Beliebtheit.
Für diese Erkenntnis ließ BBC World Service immerhin 22.500 Menschen befragen. Durchschnittlich sprachen sich 49 Prozent der Befragten für Obama als ihren Favoriten für das Weiße Haus aus und nur zwölf Prozent für McCain. Allerdings enthielten sich auch fast vier von zehn Befragten. Dennoch, in 17 der 22 befragten Länder waren fast alle der Meinung, dass sich bei einem Obama-Wahlsieg die Beziehungen zwischen den USA und dem Rest der Welt verbessern würden. Insbesondere die Befragten in den NATO-Staaten teilten diese Ansicht: in Kanada 69 Prozent, in Italien 64 Prozent, in Frankreich 62 Prozent, in Deutschland 61 Prozent und in Großbritannien mit 54 Prozent.
Manche Menschen in Europa beneiden die Amerikaner um diesen demokratischen Kandidaten. Hätte man selbst nur so einen! Auch seine frühere Vorwahl-Konkurrentin Hillary Clinton ist in Europa nach wie vor sehr populär, weil sich nicht wenige Menschen statt der ewig gleichen Herren, gesetzteren Alters mit weitreichenden Erfahrungen aus vergangenen Kriegen und Kenntnissen vergangener Wirtschaftsrezepte mittlerweile gut eine Frau oder einen Mann mit einem ausgeprägten Sinn für zukünftige Entwicklungen auf dem US-Präsidentensessel vorstellen können. Immer mehr mündige Wähler, die noch nicht nicht resigniert haben und sich nicht bange machen lassen, fragen sich inzwischen, ob wirklich alle der bisher regierenden Herren aus der Vergangenheit wirklich etwas gelernt haben? Immer mehr geplagte Bürger ahnen, dass eine Änderung der Politikrichtung nur mit einem entsprechenden Personalwechsel auf den dafür vorgesehenen Chefsesseln funktionieren kann.
Doch wer meint, etwa die republikanische Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin stehe gleichermaßen für solch einen Wechsel oder entspräche gar einer Hillary Clinton auf republikanisch, dürfte schwer enttäuscht werden. Bis auf den Lippenstift unterscheidet sich die Alaska-Gouverneurin nicht von den auf Krawall gebürsteten männlichen Mitgliedern des ihr nahestehenden Old-Boy-Netzwerks, das unverbesserlich auf die alten Aufrüstungs- und Kriegs-Strategien des zwanzigsten Jahrhunderts setzt. Und dass dies längst nicht so klug und taktisch geschickt ist, wie unverdrossen suggeriert wird, haben längst auch einige Konservative bemerkt - und sorgen sich zu Recht. Durchaus möglich, dass Palin im Alleingang für eine verfrühte Auflösung der NATO sorgen könnte - für viel Ärger allemal. Den Republikanern fehlt momentan insbesondere eine ganz bestimmte Ausstrahlung für die internationale Verständigung, die US-Politiker erst wertvoll für diesen Rest der Welt aus dessen Sicht werden lässt: Die des guten Amerikaners.
Der hat nicht erst seit dem zweiten Weltkrieg im kollektiven Gedächtnis der Deutschen einen festen Platz eingenommen. Sei es die Kriegskinder-Generation, wie der ehemalige Innenministers Otto Schily (SPD), dessen persönliches Bild des Amerikaners u.a. dadurch geprägt wurde, dass er, der hungernde Junge, von einem US-Soldaten eine Tüte Naschwerk geschenkt bekam, statt dass der kleine Otto gescholten wurde, weil er Kartoffeln geklaut hatte. Onkel Wackelflügel, Gail Halvorsen, und Kollegen, flogen sich als Rosinenbomber nicht nur in die Herzen der Berliner Kinder.
Dem Rollenmodell des guten Amerikaners, der scheinbar nicht nur mühelos die Sorgen und Nöte der eigenen Landsleute, sondern aller Menschen der Welt zu verstehen, zu lindern und gleichzeitig eine Stimmung des Aufbruchs in einer bessere Zukunft zu vermitteln vermag, entsprach wie kaum ein anderer der demokratische Präsident John F. Kennedy. Dieser hatte in seiner kurzen Amtszeit zwar auch eine Menge Fehlentscheidungen getroffen und war alles andere als ein guter Katholik, andererseits wurden seine vertrauensbildenden Maßnahmen, wie Ich bin ein Berliner, auch außerhalb der USA (und Berlin) sehr gut verstanden. Kennedy, unterstützt durch einen brillanten Redenschreiber, wurde schon zu Lebzeiten zu einem Mythos. Nicht vor und nicht nach diesem bislang jüngsten Präsidenten der Vereinigten Staaten kam jemand mehr auf die verrückte Idee, ausgerechnet das Weiße Haus als Camelot zu bezeichnen.
Im Juli 2004 geschah dann etwas Unerwartetes am demokratischen Convention-Day Auch einige Ausländer konnten dank moderner Telekommunikationstechnik live am Bildschirm mitverfolgen, wie der Kennedy-Mythos plötzlich und leibhaftig auf der amerikanischen Bühne wieder erschien – und damit auch gleichzeitig das alte Trauma der Republikaner erneut höchst lebendig wurde. Als Barack Obama mit seiner donnernden, charismatischen Stimme ansetzte, verschlug es das Publikum vor Ort sichtbar in Verzückung: Das war definitiv etwas anderes als die derbe Hausmannskost, die es in den letzten Jahren im heimischen Amerika zu hören bekommen hatte. Außerhalb der USA verlief die Wirkung ähnlich: Vom ersten bis zum letzten Satz geriet Obamas Rede zum inhaltlichen und rhetorischen Highlight und ging in Bild und Ton flugs um die ganze Welt. Der amerikansiche Traum war damit auf einen Schlag wieder da. Dass man von diesem jungen Senator aus Illinois noch hören werde, wusste jeder Zuschauer sofort.
Seitdem zieht Obama ähnlich wie einst der junge Kennedy rund um den Globus erstaunlich viel angenehmes Publikum in seinen Bann: Junge und im Geiste jung Gebliebene, zivilisierte Menschen, kulitivierte Leute, Ängstliche, die sich kaum noch aus dem Haus trauten und wieder Mut fassen, Arme, die ihre Hoffnung noch nicht aufgegeben haben, Reiche, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und Alte, Erfahrene, die wissen, dass Obamas Worte Substanz haben, auch wenn die Erfahrenen gleichzeitig ahnen: Jeder amerikanische Präsident ist ein Risiko, weil Amerikaner von ihren Verbündeten gewöhnlich nicht wenig erwarteten. Währenddessen kräht John McCain im fortschreitenden Wahlkampf immer dasselbe: Americans, Americans, Americans, Americans und noch einmal Americans, gerade so, als ob die ganze Welt eine Zweiklassengesellschaft wäre, die einerseits aus Amerikanern und andererseits aus irgendwelchen anderen Menschen bestünde - und vermittelt damit eine Welt, in der sich ein amerikanischer Präsident entweder nur um den Teil der Americans zu kümmern habe, oder am besten auch gleich alle anderen zu Amerikanern macht.
Nun bestimmen aber in der Tat nicht die Einwohner der ganze Welt - neben rund 300 Millionen US-Bürgern besiedeln aktuell noch rund 6 Milliarden andere Menschen den Planeten Erde - am 4. November, wer amerikanischer Präsident werden soll, sondern allein die Amerikaner. Und die einen sind, nicht zuletzt Dank der anhaltenden Finanzkrise, so sehr mit der Sorge um ihre eigenen Probleme beschäftigt, dass sie keinen Gedanken an den Rest der Welt verschwenden können, und die anderen interessieren sich ganz offen ausschließlich für amerikanische Belange. Der Rest der Welt hofft derweil darauf, dass noch einige erahnen können, welche nachhaltige Wirkung die US-Präsidentschaftswahl 2008 für den ganzen Globus haben wird.
Ob es die Amerikaner und damit die Wähler in den fernen USA nämlich interessiert oder nicht, sie wählen nicht nur einen neuen Präsidenten, der liegen gelassene und neue Probleme, wie einen hochverschuldeten Haushalt, eine ins Schlingern geratene Wirtschaft, ein marodes Finanz- und ebensolches Gesundheitssystem und einen alten Krieg von seinem Vorgänger erben wird, sondern auch den Chef eines Global-Players, dessen Entscheidungen in so gut wie allen Ressorts weitreichende Folgen für die ganze Welt hat und haben wird. Das macht diese Wahl so delikat, denn beide, Obama und McCain, werden als US-Präsidenten vom Rest der Welt viel verlangen.
Die Frage, mit wem von beiden Unangenehmes lieber anpackt werden würde, haben die Europäer längst beantwortet. Und diese Frage ist wichtiger, als man sowohl in Europa als auch in den USA annehmen mag. Noch nie zuvor, war die Welt so rund, kein Land der Welt kommt mehr ohne Partner aus. Immer globalere Probleme verlangen natürlicherweise immer mehr Antworten aus internationaler Zusammenarbeit. Die Finanzkrise ist dabei nur ein jüngster Zeuge. Die US-Wähler entscheiden bei ihren Präsidentschaftswahlen demnach nicht zuletzt darüber, welchen Verhandlungspartner sie dem Rest der Welt vor die Nase setzen werden, und damit auch maßgeblich darüber, wie angenehm, aber vor allem wie erfolgreich die internationale Zusammenarbeit im Ergebnis ausfallen wird. Europa setzt dabei auf den guten Amerikaner, und hofft damit auf einen überlegten, weitsichtigen und geschickten Verhandlungspartner. Einen Unberechenbaren, der zuerst eigene und dann nationale Interessen und das alles auch noch mehr schlecht als recht verfolgt, hatte man schließlich schon acht lange Jahre ertragen müssen.
*Update und Anmerkung der Redaktion 2012: Laut einer repräsentativen Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF-Politbarometer vom 11. Oktober würden bei der diesjährigen PräsidentschaftsWahl 89 Prozent der Deutschen Barack Obama wählen - und 2 Prozent Mitt Romney, 9 Prozent waren unentschieden.
2008-10-01 Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
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