von Dr. Elisabeth Kärcher
Liebe Leserinnen und Leser,
in der letzten Nacht konnte ich kaum schlafen, weil in meinem Kopf plötzlich Fragmente zusammenfanden und mir glasklar wurde, dass eine soziale Revolution, richtiger - eine Revolution der Sozialversicherungen begonnen hat. Genau genommen wird sich, wenn die Entwicklung weiter diese Richtung nimmt, das über hundert Jahre währende und auf Bismarcks Reformen beruhende System der Sozialversicherungen grundlegend neu formieren.
Dass dies kaum jemand bemerkt, ist nicht verwunderlich, denn viele Revolutionen beginnen mit einfachen Schritten: dem Schreiben eines kommunistischen Manifestes, dem Anschlagen von Luthers Thesen an einer Kirchentür oder den wöchentlichen Treffen mutiger Menschen in Leipzig.
Diesmal ist es das Disability Management kanadischer Prägung, das mit anglikanischer Respektlosigkeit vor deutschen Elfenbeintürmen einfach Gesundheitsförderung (Krankenkasse), Vermeidung von Arbeitsunfällen (Unfallversicherung), medizinische Rehabilitation von Berufstätigen (Rentenversicherung), betriebliche Wiedereingliederung (Arbeitgeber), Teilhabe am Arbeitsleben (Arbeitsagentur, Rentenversicherung, Unfallversicherung) und soziale Teilhabe (Kommunen, Sozialfonds) zusammenführt.
Haben manche der Träger und Akteure inzwischen begriffen, dass hier mehr beginnt als eine vorübergehende Mode, schlafen andere noch tief und werden erst nach und nach geweckt. Eher selten, dann jedoch umso erfreulicher sind die sinnvollen, langfristig angelegten und mit persönlicher Initiative gestarteten Projekte. Dagegen steht kräftig geförderter Aktionismus, der ohne großen Sachverstand, jedoch mit gut gefüllten Fördertöpfen elefantenartig durch das Glashaus stapft und mehr Schaden als Nutzen anrichtet.
Rehabilitation und Teilhabe sind nun mal ein Milliardengeschäft, in dem alle Sozialversicherungen Anteile besetzen. Das Mischverhältnis ist offenbar auf dem Markt zum Handel freigegeben worden.
Und wenn mich nicht alles täuscht, dann lehnt sich das Bundesarbeitsministerium mit wacher Aufmerksamkeit zurück und beobachtet, welche Sozialpartner sich wo durch Kompetenz oder politischen Einfluss positionieren. Denn aufhalten lässt sich eine Revolution nicht.
Dr. Elisabeth Kärcher
2008-10-01 Dr. Elisabeth Kärcher, Wirtschaftswetter
Text : ©Dr. Elisabeth Kärcher
Fotos Themenbanner: ©Cornelia Schaible, Angelika Petrich-Hornetz
Illustrationen: ©aph
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