von Annegret Handel-Kempf
So sicher wie der Sommer zurückkehrt, kommt immer wieder die Diskussion über eine Liberalisierung des Biker-Führerscheins auf die Lobbyistenagenda. Das Bundesverkehrsministerium scheint gar nicht so abgeneigt, den aktuell vorgebrachten Argumenten zumindest teilweise zu folgen.
So geschah es, dass sich der gerade in den Ruhestand gegangene, nunmehrige Ex-Präsident Bert Poensgen und Hauptgeschäftsführer Reiner Brendicke vom Industrie-Verband Motorrad Deutschland e.V. (IVM) mit Wolfgang Tiefensee, der über das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) gebietet, trafen. Themen: Eine politische Realisierung der IVM-Vorschläge zu einem erleichterten Einstieg in die125er-Klasse, sowie eine Senkung des Alters der Aspiranten für den Führerschein AM.
Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) können für das Führen von Fahrzeugen in ihrem Hoheitsgebiet festlegen, dass Leichtkrafträder, also Krafträder der Klasse A1, unter den Führerschein der Klasse B fallen. Dies folgt aus Artikel 5 Abs.3 b) der derzeit geltenden Richtlinie des Europäischen Rates vom 29.07.1991 über den Führerschein (91/439/EWG * 2. EG-Führerscheinrichtlinie), beziehungsweise gemäß Artikel 6 Nr. 3 b) der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.12.2006 über den Führerschein (3. EG-Führerscheinrichtlinie), die noch in nationales Recht umzusetzen ist.
Mehr Sicherheit im Straßenverkehr und erleichtertes Reisen in Europa soll der Europäische Führerschein ab 2013 bringen. Aus dem neuen Führerschein muss klar hervorgehen, wer zum Führen welchen Fahrzeugs berechtigt ist.
BMVBS-Sprecher Richard Schild: „In der Vergangenheit ist zwar wiederholt die Forderung erhoben worden, die Berechtigung zum Führen von Leichtkrafträdern auf alle Inhaber einer Pkw-Fahrerlaubnis auszudehnen. Untersuchungen zum Unfallgeschehen von Leichtkrafträdern haben aber gezeigt, dass eine langjährige Erfahrung als Autofahrer nicht ausreicht, bei den heutigen Verkehrsverhältnissen sicher ein Leichtkraftrad zu führen. Dennoch soll im Rahmen der aktuellen Umsetzungsarbeiten zur 3. EG- Führerscheinrichtlinie noch einmal geprüft werden, ob eine weitgehende Ausschöpfung der EG-rechtlichen Vorgaben möglich ist. Das BMVBS steht in intensivem Gedankenaustausch mit allen betroffenen Kreisen, um vor dem Hintergrund der stets aktuellen Frage der Motorradsicherheit zu einer tragfähigen Lösung zu gelangen.“
Symbiose aus Sicherheitsgedanken und Liberalisierung, im Sinne von bezahlbarer Mobilität
Wirtschaftswetter: Herr Brendicke, zielen Sie mit der Idee eines erleichterten Einstiegs in die 125er-Klasse auf den Wegfall einer eigenständigen theoretischen und praktischen Prüfung ab?
Reiner Brendicke: Im Rahmen der Diskussion mit Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee hat der IVM vorgeschlagen, für die 125er-Klasse im Rahmen der Nutzung mit Pkw-Führerschein insofern eine Liberalisierung anzustreben, als ein Modell wie in Österreich auch für die Bundesrepublik umgesetzt werden sollte. Dieses beinhaltet nicht nur ein Mindestalter - fünf Jahre Pkw-Führerscheinbesitz und damit 23 Jahre - sondern auch sechs Fahrstunden. Unser Ziel ist also nicht der völlige Wegfall entsprechender Einstiegsvoraussetzungen auf das 125-Kubikzentimeter-Leichtkraftrad mit Pkw-Führerschein.
Wirtschaftswetter: Welche Gesellschaftsgruppen sollen von einer Führerscheinliberalisierung profitieren?
Reiner Brendicke: Ein vernünftiges Modell bietet sowohl für Fahrlehrerschaft, als auch die Industrie, Perspektiven einer Markterweiterung, da gerade die Leichtkraftradklasse, zum Beispiel bei den Rollern, spezifische Mobilitätsvorteile im ruhenden und fließenden Verkehr, aufgrund des geringen Platzbedarfs und ebenso geringen Verbrauches, liefert. Bezahlbare Mobilität steht hier sicher im Vordergrund.
Wirtschaftswetter: Wie sieht es mit Sicherheitsbedenken aus: Motorräder sind mit ihren erreichbaren Geschwindigkeiten keine Spielzeugroller?
Reiner Brendicke: Bezüglich der Kleinkraftradklasse können wir schon jetzt bei den Unfallzahlen absehen, dass die Gruppe der Pkw-Fahrer, die diese Fahrzeuge nutzt, in äußerst geringem Umfang in Unfälle verwickelt ist. Folglich ist für uns klar, dass diese Möglichkeit in jedem Fall auch perspektivisch weiter als direkter Einschluss in den Pkw-Führerschein gegeben sein muss.
Wirtschaftswetter: Wie soll sich Ihre Liberalisierungs-Vorstellung in den gemeinsamen Europäischen Führerschein ab 2013 einfügen?
Reiner Brendicke: Die skizzierten Möglichkeiten gehen konform mit den Rahmenbedingungen der dritten Führerscheinrichtlinie, die bis 2013 in Deutschland umgesetzt werden soll. Die Diskussionen zur Umsetzung der dritten Führerscheinrichtlinie werden im Jahr 2009 intensiv stattfinden. Es wird darüber hinaus Möglichkeiten von Gesprächen in Workshops geben, so dass wir ein Führerscheinmodell ab 2013 anstreben, das eine umfassende Symbiose aus Sicherheitsgedanken und Liberalisierung, im Sinne bezahlbarer Mobilität für breite Bevölkerungskreise, ermöglicht.
Wirtschaftswetter: Welche Auswirkungen auf den Motorrad-Markt erhoffen Sie sich von einem einfacheren Zugang zur 125er-Klasse?
Reiner Brendicke: Die gegenwärtige Marktentwicklung zeigt, dass das Bedürfnis nach eben solcher zweirädriger Mobilität deutlich wächst, wie die erheblichen Steigerungsquoten des Absatzes bei Motorrollern dokumentieren. (Siehe Kasten)
IVM-Hauptgeschäftsführer Reiner Brendicke: „Ein weiterer Aspekt des Gespräches mit Bundesverkehrsminister Tiefensee war die Senkung des Einstiegsalters in den Führerschein AM, um Jugendlichen hier schon von 15 Jahren an eine umfassende theoretische und praktische Ausbildung zukommen zu lassen und anschließend ein Fahrzeug zur Verfügung zu stellen, das im Verkehrsfluss innerstädtisch mitschwimmen kann. Dies ist bei der auf 25 Kilometer pro Stunde limitierten Mofa-Klasse leider nicht der Fall. Wir haben aus den Kreisen der Fahrlehrer positive Signale erhalten, die ebenfalls auf eine entsprechend umfassende Ausbildung mit 15 bei Kleinkraftradnutzung setzen.“
BMVBS-Sprecher Richard Schild:
PRO "Die mögliche Reduzierung des Mindestalters für die Klasse AM (alt M+S) auf 15 Jahre wird von einigen Verkehrssicherheitsexperten befürwortet, da durch geeignete Maßnahmen trotz der Erhöhung der Höchstgeschwindigkeit um 20 Kilometer auf 45 Kilometer pro Stunde ein deutlicher Sicherheitsgewinn erzielbar sei. Als Begründung wird angeführt, dass die Ausbildung nicht wie beim Erwerb der Mofaprüfbescheinigung nur im Schonraum, beispielsweise Schulhof, stattfinde, sondern im Realverkehr durch einen Fahrlehrer erfolge. Zudem werde eine sichere Beherrschung des Kleinkraftrades erzielt, weil eine vollwertige Zweiradausbildung in Theorie und Praxis, statt der bisherigen Teilausbildung für die Mofaprüfbescheinigung, erfolge.“
CONTRA "„Es gibt jedoch auch hier gewichtige Gründe der Verkehrssicherheit, die für eine Beibehaltung der Mindestaltersgrenze von 16 Jahren für die Klasse AM sprechen. So wird erwartet, dass sich durch das niedrigere Einstiegsalter für die Klasse AM die Anzahl der motorisierten jungen Verkehrsteilnehmer in dieser Klasse insgesamt erhöhen werde. Gerade solch junge Fahranfänger weisen wegen ihrer fehlenden Fahrpraxis und ihrer erhöhten Risikobereitschaft ein besonderes Gefährdungspotenzial auf. Eine Erhöhung der Geschwindigkeit um 20 Kilometer pro Stunde gegenüber dem Mofa führe zwangsläufig zu schwereren Unfallfolgen. Zudem erscheine zweifelhaft, ob die erweiterte Ausbildung und Qualifizierung gegenüber der Mofaausbildung die zu erwartende Erhöhung des Unfall- und Verletzungsrisikos auszugleichen vermag.“
FAZIT „Aus Sicht des BMVBS sind auch hier fundierte wissenschaftliche Untersuchungen erforderlich, um im Interesse aller Beteiligten vor dem Hintergrund der stets aktuellen Frage der Motorradsicherheit zu einer tragfähigen Lösung zu gelangen.“
2009-06-03 Annegret Handel, Kempf, Wirtschaftswetter
Text: ©Annegret Handel-Kempf
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