Kommentar
von Angelika Petrich-Hornetz
Der Tod eines 50-jährigen Geschäftsmannes oder sollte man besser schreiben, das brutale Niederknüppeln eines Menschen, der ganz normal, nämlich zivil handelte, zeigt die schleichende Entmenschlichung einer Gesellschaft, die sogar schon Probleme damit hat, nur einen bundesländerübergreifenden Konsenz für Schulobst zu finden.
Die Wirtschaftskrise lässt die Fratze der Verrohung aktuell kräftig aufblitzen, doch die alltägliche Gewalt, die immer weiter auseinanderklaffende Einkommen - Verarmung hier und unverantwortliche Verschwendung dort - erzeugen, wird schon länger und vor allem im Alltag und auf der Straße wahrgenommen. Kein Mensch verkauft mehr Karten: Wirtschaft und Politik haben zugelassen, dass U-Bahnen, Bahnhöfe, Bushaltestellen und andere öffentliche Plätze mit immer weniger Personal bestückt, immer menschenleerer werden.
Automaten helfen nicht. Es kümmert diese nicht, ob jemand nach dem korrekten Ausdruck des Fahrscheins pünktlich abfahren kann - oder direkt danach stirbt - solange dieser Mensch nur ein gütliges Ticket hat(te). Die Vorstellung, menschliches Verhaltens könnte tatsächlich durch Geräte in den Griff zu bekommen sein, pervertiert vollends ein bürgerliches Gesetz, in dem mancher Diebstahl immer noch schwerer als so manche Körperverletzung wiegt.
Schwarzfahren ist das Delikt des öffentlichen Nahverkehrs, in desssen Umfeld Mord einfach nicht vorgesehen war. Pech gehabt, wem dies trotzdem widerfährt. Glück gehabt, wer in der automatisierten Gegenwart noch rechtzeitig mit seinem Handy Hilfe rufen konnte. Die Technik rüstet weiter auf, die dahinter liegenden Probleme löst sie nicht. Es müssen eben doch echte Menschen am anderen Ende jeder Leitung sitzen und zur Hilfe eilen, sonst ist auch bei erfolgreicher Verbindung alles zu spät.
Noch immer gilt: Ein Automat ist nur so gut wie sein Entwickler. Ein Programm ist nur so gut wie sein Programmierer. Ein Video bietet nur dann Abhilfe, wenn es von einem menschlichen Betrachter gesehen - und in seiner Bedeutung erkannt wird. So sind die regelmäßig nach solchen brutalen Überfällen aufkommenden Forderungen nach mehr Videoüberwachung, noch mehr Film- und Datenmaterial, noch mehr technischer Aufrüstung und noch mehr Automaten alle nichts wert, wenn nicht gleichzeitig auch mehr Menschen - als nur dieser eine - da sind, die wissen, was sie sehen und die wissen, was zu tun ist.
Vielleicht muss erst eines Tages so viel Personal nötig werden, um all die Computer und Apparate zu bedienen, all die Überwachungs-Bildschirme, -Filme und -Daten zu beobachten und auszuwerten, dass es auf einmal wieder billiger käme, Menschen von Menschen warten zu lassen, als Menschen von Maschinen, die von Menschen gewartet werden müssen. Im Gegensatz zum Menschen, kümmern sich Automaten, Videos und Daten grundsätzlich nicht, sie funktionieren nur. Unbemannt richten sie damit gar nichts gegen die zunehmende Verrohung unserer Gesellschaft aus.
2009-09-15 Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
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