von Angelika Petrich-Hornetz
Trotz Wirtschaftskrise und mehr oder weniger geschickter Verhandlungsversuche, veraltete Systeme aufrecht zu erhalten, dreht sich die Welt und damit auch die Wirtschaft weiter. Auf einigen Gebieten sogar ganz flott. Die einen halten das für geradezu gnadenlos, andere sehen die Chancen – für neue Märkte, Geschäftsfelder, Branchen und Techniken. Vielleicht ist es auch eine der Erklärungen dafür, dass viele Bundesbürger in der Krise noch relativ gelassen bleiben. Immerhin haben nicht wenige schon große Veränderungen erlebt. Die mögen nie einfach sein, sind aber auch nicht unmöglich zu bewältigen.
Schließlich müssen Menschen trotz weltweiter Geldvernichtung wohnen, sich ernähren, kleiden, einkaufen und arbeiten. Und dafür müssen sie täglich von A nach B gelangen. Gerade hier gibt es gleich auf mehreren Feldern spannende Entwicklungen. Übrigens, auch das herkömmliche Auto war einst eine Produktrevolution. Dieses inzwischen über hundert Jahre alte Prinzip der Mobilität mit Verbrennungsmotor, das selbst im Autoland Deutschland inzwischen Patina angesetzt hat, entwickelt sich langsam weg vom Massen-Fortbewegungsmittel Nummer 1, hin zu einer unter vielen Varianten fahrbarer Untersätze.
Mindestens das Zweitliebste nach dem Auto ist den Deutschen das Fahrrad. Am ersten Juni startete wieder die Aktion Mit dem Rad zur Arbeit, der viele Arbeitnehmer schon viel früher, pünktlich zum Frühlingsbeginn auch ohne Extraeinladung gefolgt waren. Allein in Deutschland gibt es sagenhafte 70 Millionen Drahtesel (Fahrräder): Jeder in diesem Land, der überhaupt schon oder überhaupt noch fahren kann, besitzt damit statistisch gesehen ein eigenes Rad.
Den Erfindern der Aktion Mit dem Rad zur Arbeit wäre wahrscheinlich nie in den Sinn gekommen, mit welcher Modellvielfalt in diesem Sommer geradelt und gerollt werden kann. Manche dieser neuen Modelle sind in gewisser Hinsicht etwas kontraproduktiv: Als neuer Renner gilt zum Beispiel das Elektrorad, selbstredend mit einem Elektromotor ausgestattet, so dass der Fahrer mit nur einem Tritt gleich meterweit geradeaus schießt, sogar berghoch. Das dürfte den Gesundheitseffekt spürbar einschränken, weil die fürs leichte Pedalantippen benötigte Muskelkraft wohl mehr der sportlichen Leistung eines Auto - als der eines klassischen Radfahrers entspricht: reines Sitzfleischtraining.
Doch Elektroräder sind nicht alles, was der Markt hergibt, und in den Schubladen ideenreicher Menschen schlummert noch mehr Vielversprechendes. Schon gibt es eine Vielzahl ebenfalls elektroangetriebener rad- oder auch rollerähnlicher Menschentransporter, die sich mühelos durch den kleinen Stadtverkehr lenken lassen - würden. Denn gleichzeitig sorgt die neue, zwei- bis vierrädrige Vielfalt bei Verkehrsplanern, Versicherungen und technischen Prüfstellen für neues Kopfzerbrechen.
Der Individualverkehr richtet sich seit Ewigkeiten vorwiegend nach ein und demselben Modell - dem PKW, meist ein Vier- oder Fünfsitzer in Variationen überschaubarer Ähnlichkeit – und nicht nach einer Menge, höchst unterschiedlicher, dabei mehr oder weniger verkehrsstress-resistenter Verkehrsmittel. Mit der nun zunehmenden Vehikelpalette dividiert sich der Verkehr zwangsläufig weiter auseinander, und damit treffen gleichzeitig verschiedenste Interessen unterschiedlicher Verkehrsteilnehmer aufeinander. Eine demnächst kreuz und quer auf allen Wegen rollende Diversität wird aller Wahrscheinlichkeit nach zumindest auf den Kurzstrecken in den Städten zunehmen, weil der Bedarf wächst, gerade in einer alternden Gesellschaft.
Zum Beispiel mit einem schlichten, unmotorisierten Roller, mit dem Kinder und Erwachsene unterwegs sind, haben viele Fußgänger und Autofahrer bereits ihre ganz persönlichen Erfahrungen gemacht. Es liegt nicht zuletzt am fehlenden Regularium, speziell für einige mit Scheuklappen ausgestattete Piloten, die ähnlich, wie die bekannten querfeldein rasenden Fahrrad-Cowboys und -Cowgirls, für eine Menge Verkehrsstreitigkeiten in den Sommermonaten sorgen. Mit Motor dürften solche Dispute künftig noch interessanter werden.
Abseits einem Bedarf an Hilfsmotoren zur Unterstützung bei der Bewältigung kürzerer Strecken, gab es in den letzten Jahren auch zahlreiche Hinweise darauf, dass dem Homo Mobilis mit den klassischen PKW, Motor- und Fahrrädern sehr bald langweilig werden könnte. Die vorhandenen Möglichkeiten genügen den alltäglichen oder freizeitlich orientierten Ansprüchen der Fahrfreudigen offenbar nicht mehr. So gehören, trotz aller Feinstaubbelastung durch PKW-Dinos, sowohl Fahrradanhänger für Kinder, Rikschas für den kleinen Taxiverkehr, Tandems, Liegefahrräder und Dreiradmobile für mehr Fahrkomfort und noch andere kreative Modelle inzwischen zum bewegten Bild vieler Citys. Stellen Sie sich vor, diese bisher per Muskelkraft angetriebenen Tret-Maschinen wären alle motorisiert. Drohte damit etwa ein einziges Chaos?
Ebenfalls gut sichtbar aus dem Einerlei tanzend, entwickelten sich beispielsweise Freizeit-Quads, sozusagen Motorräder auf vier Reifen. In der Mitte des Gedröhnes thront ein behelmter Fahrer. Allein an diesem Gerät wird erkennbar, das Fahren für einige offenbar immer noch weniger mit Lärmbelästigung als mit Lust an der Fortbewegung zu tun hat. Sicherheitstechnisch wäre die hier fehlende Blechhülle eines wesentlich schlichteren PKWs natürlich empfehlenswerter.
Quads sind noch mit Verbrennungsmotoren bestückt. Das wird keineswegs so bleiben. Auch beim Auto zeichnet sich der Trend zum Elektromobil seit Jahren deutlich ab, wobei es lange Zeit nur wenige wahrhaben wollten. Mit diesem Innovationsdruck, einem wachsenden Bedarf plus einem durch die Wirtschaftskrise zusätzlich allgemein verschärften Druck zu Veränderungen im Rücken, dürfte der Auftrieb gestiegen sein, ökologischere und gleichzeitig ökonomischere Vehikel zu produzieren. Das bedeutet für den Stadtverkehr zunächst einmal auch mehr kleinere Modelle zu produzieren. Selbst im klassischen, um nicht zu sagen alten Automarkt spiegelt sich dieser Bedarf in der Nachfrage nach Kleinwagen wieder.
Beflügelt durch die Energie-, Auto- und allgemeiner Wirtschaftskrise, lassen sich, trotz jahrzehntelanger Phantasielosigkeit und Abwrackprämie, daher moderne Ideenschleudern mit einem Hang zu mobilen Objekten nun nicht mehr davon abhalten, ein Konzept nach dem anderen für neue Vekehrs- und Transportmittel zu entwickeln. Dahinter steckt auch ein weiterer Gedanke, nämlich, dass trotz Gezerre um den Nordpol und den unterschiedlichster Meinungen über noch vorhandene Ressourcen, viele davon ausgehen, dass in nicht allzu ferner Zukunft das Öl langfristig höchstens noch zur Herstellung von Salatschüsseln und Dichtungen ausreichen wird. Und die braucht man schließlich auch noch. Schlichtes Verbrennen von Öl könnte dagegen bald zu einer Antiquität werden, die gerade noch fürs Industrie-Museum reicht.
Diese Entwicklung kann negativ oder positiv ausgelegt werden. Der Bedarf an neuen Formen der Mobilität und entsprechenden Produkten ist längst da. Er wird noch mehr Auto-Mobil-Kreationen auf den Markt werfen und frischen Wind in alte Werkshallen pusten. Das kann auch in Branchen stattfinden, die sich bis heute noch gänzlich unbehelligt wähnen. Warum zum Beispiel kein elektrobetriebener Rollator? Das auch als Gehwagen bekannte Fortbewegungsmittel für Senioren wurde immerhin erst in den 1980er Jahren erfunden – und könnte inzwischen trotzdem oder gerade deshalb etwas überfällige Beschleunigung zum Steh- und Gehwagen vertragen.
Die Demographie schreitet voran. Zu Fuß gehen kann durchaus gesundheitsschädlich werden. Ein eigenes Auto der Großkarossen-Klasse kann dabei auf den ganz persönlichen Bedarf wie Kanonen auf Spatzen wirken,. Also muss etwas Neues, etwas Kleineres und etwas im Alltag Anwendbares her. Und hier ist neben aller technischer Raffinesse durchaus ökonomische Eile geboten: Schon kaufen sich international Investoren der Old Economy in neue Energie- und Technologiemärkte ein. Aus den großen und schwellenden Wirtschaftsnationen tönt es immer lauter, dass so gut wie alle gleichzeitig Weltmarktführer werden wollen. Das geht natürlich nicht, bestenfalls werden sie Konkurrenten, Lieferanten oder Kunden. Die Schlacht um die zukunftsfähigen Märkte hat begonnen, und zwei davon bieten die Antworten auf ganz alte Fragen an: Energie und Mobilität.
Bundesverkehrsminister Tiefensee ist auch dabei und will Elektroautos fördern. Selbst die bislang sturen, jüngst auf größeren Premium-Fuhrparks sitzen gebliebenen deutschen Autohersteller dachten fast über Nacht um und sind mit Forschung und Entwicklung mittlerweile schwer beschäftigt.
Es gibt neben der weltweiten Konkurrenz noch ein Problem, und und zwar ausdrücklich für den Bundesverkehrsminister: Die aktuelle Straßenverkehrsordnung in Deutschland orientiert sich immer noch am PKW und muss für die wachsende Vielfalt elektrobetriebener Rolluntersätze dringend umgerüstet werden. Als erste Maßnahme für mehr Verkehrssicherheit gehört dort der längst überfällige Führerschein für alle hinein. Zuerst für die Verkehrsteilnehmer, die sich rollend betätigen, aber auch für den Rest, der sich in den zunehmend rollenden und motorisierten Verkehr begeben möchte. Sonst droht nach den Dauerstaus vergangener Jahre in den Städten das nächste Verkehrsdilemma. Elektrobetriebene Roller, Räder, Rollatoren, Rollschuhe, Fahrrad-Taxis, Rollstühle und noch mehr – das alles funktioniert nur zusammen, wenn man sich an die Regeln hält. Nur, dazu muss man diese erst einmal kennen oder überhaupt welche haben.
Der Allerletzte in der Rangordnung unregulierter Verkehrssituationen, dürfte dann nach wie vor der Fußgänger sein (aktuell 43 Prozent aller Verkehrstoten, europaweit), ein unhaltbarer Zustand in einer kinderentwöhnten und gleichzeitig alternden Gesellschaft. Da hilft wohl nur noch erzwungene Rücksichtnahme per Gesetz. Die dürfte sogar für Hundehalter mit Fußantrieb gelten, die ihre Lieblinge an langer oder – wie so häufig ausgerechnet auf stark frequentierten Wegen – ohne Leine laufen lassen. Hier könnte ein Verkehrssicherheitstraining beim Vierbeinererwerb vielleicht sogar zielführender sein als Bußgelder, die aus Ordnungspersonal-Mangel doch nie verhängt werden.
Verkehrsteilnehmer werden sich wie gewohnt auch in Zukunft so auto-mobil, so frei und so schnell bewegen, wie sie nur können. Nur nicht mehr nur mit dem PKW. Wird dem sich abzeichnenden, neuen Bedarf nach einem erweiterten Verkehrsgefühl auf deutschen Straßen nicht vorausschauend Rechnung getragen, dürfte sich der Verkehr ähnlich wie die sich wandelnde Wirtschaft ebenfalls zu einem ganz neuen Schlachtfeld entwickeln.
2009-07-01 Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
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