von Angelika Petrich-Hornetz
Was sollte man einem der reichsten Länder der Erde noch wünschen? Die alte Bundesrepublik als auch die neue vermitteln den Eindruck eines gut erhaltenen 60-Jährigen und eines verwöhnten 20-Jährigen, die schon alles haben. Vielleicht reichte daher der fromme Wunsch, dass es gut durch die Krise kommt? Oder, dass es den demographischen Wandel ohne große gesellschaftliche Erosionen schafft, oder dass es der zuständigen Institution seiner kostbarsten Ressource, das vernachlässigte Bildungssystem endlich reformiert und den wachsenen Anforderungen anpasst.
Nein, das alles bekommt es ja schon mehr oder weniger zum Geburtstag. Wir wünschen Deutschland etwas ganz Schlichtes, nämlich mehr Kinderfreundlichkeit. Viel mehr davon, als jetzt vorhanden, könnte drei auf einen Streich - die Wirtschaftskrise durch steigende Binnennachfrage abfedern, die demographische Entwicklung positiver gestalten und die Bildungssysteme durch den Druck von mehr zu Bildenden verbessern.
Das fehlende quantitatives Gleichgewicht zwischen Jung und Alt sorgt für Interessenskonflikte. Kinder geraten immer mehr in die Rolle einer Minderheit. Glücklicherweise hat die Kinderkommission (Kiko) des Deutschen Bundestages, seit 1988 in Betrieb, endlich heiße Eisen kindespolitischer Entwicklungen angefasst. Im Mai übernahm die Kiko die Schirmherrschaft für das Bündnis Recht auf Spiel, das öffentlichen (Spiel-)Raum für Kinder und Jugendliche einfordert. Anfang Juni forderte der Ausschuss mehr Mitbestimmgungrechte für Kinder und Jugendliche ein und wandte sich nur wenige Tage später mit einer eindeutig formulierten Ansage an die Öffenlichkeit - zum Thema Kinderlärm von Kinderbetreuungseinrichtungen, Zitat: Kinderlärm ist als Schließungsgrund untragbar.
In anderen Ländern staunt man wahrscheinlich Bauklötze, sofern dort überhaupt bekannt ist, dass in Deutschland durch Kinder verursachter Krach tatsächlich in Dezibel wie Auto- und Industrielärm gemessen wird. Dazu hat die Kinderkommission nun das Bundesverkehrsministerium angeschrieben und um Informationen gebeten, welche Anstrengungen unternommen worden sind, um die Rechtslage von Kindertageseinrichtungen zu klären. So mancher Migrantenfamilie dürfte vor diesem Hintergrund langsam dämmern, dass die ihnen nicht so selten entgegengebrachte Ablehnung zu einem großen Teil an ihrem Kinderreichtum liegen könnte, der den Deutschen fremd geworden ist und folglich argwöhnisch beobachtet wird.
Die alternden Bundesbürger fühlen sich indes durch Kinderlärm zunehmend belästigt. Sie sorgen erfolgreich für die gerichtliche Schließung von Kindertagesstätten, von Bolz- und Spielplätzen oder für strenge Auflagen für Schulen und Sportplätze. Dabei stellen diese die letzten Bastionen des öffentlichen Raumes, in denen sich Kinder überhaupt noch relativ frei bewegen können. Man spricht inzwischen von Kinderreservaten. Der restliche öffentliche Raum, Straßen, Parks, Wege und Plätze sind inzwischen so gut wie komplett kinderbereinigt, es sei denn diese werden zur Überquerung von einem Reservat ins andere genutzt.
Die Kinderkommission sieht nun Handlungsbedarf. Für alle sichtbar, karrikieren Gerichtsurteile, die reihenweise Kinderlärmquellen schließen lassen, das Ziel der Bundesregierung, bis 2013 rund 400.000 neue Betreuungsplätze zu schaffen. Ob dieser Zeitplan eingehalten werden kann, dürfte somit fraglich werden. Das Bundesverkehrsministerium soll helfen, geltendes Recht umzusetzen. Das zeigt, dass der einst gültige gesellschaftliche Konsens, dass Kinderlärm hinzunehmen sei, längst aufgegeben wurde. Immerhin kann man noch zu einer Kinderkommission gratulieren, die sich so leicht nicht mehr abschütteln lässt - und die vor ihren Empfehlungen und Stellungnahmen damit begonnen hat, bei zuständigen Stellen - auch unangehme - Fragen zu stellen, die der Kinderfreundlichkeit dienlich sind und die damit einen wichtigen Beitrag zur Zukunftsfähigkeit leistet. Herzlichen Glückwunsch, Deutschland!
Weiterführende, externe Links:
Kinderkommission (Kiko)
2009-07-01 Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
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