Für Bündnis 90/ Die Grünen: Kerstin Andreae, Diplom-Volkswirtin, MdB, wirtschaftspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, Spitzenkandidatin in Baden-Württemberg und Direktkanditatin für Freiburg
Die Fragen stellte Juliane Beer
Wirtschaftswetter: Welche Ursachen sind für die aktuelle Wirtschaftskrise in
Deutschland verantwortlich?
Kerstin Andreae: Die Wirtschaftskrise hat unterschiedliche Ursachen. Zum einen ist sie eine Folge der Finanzkrise, die aufgrund fehlender Regeln auf den internationalen Finanzmärkten entstanden ist. Zum anderen sind infolge des Zusammenbruchs der Finanzmärkte strukturelle Probleme der deutschen Wirtschaft verstärkt worden, die schon lange vorher da waren. Das betrifft vor allem die Automobilbranche, die schon länger mit schrumpfenden Absatzzahlen zu kämpfen hat und seit Jahren mit einer falschen Produktpalette am Markt vorbei produziert.
Wirtschaftswetter: Was ist in der Krise die wichtigste Aufgabe der Politik?
Kerstin Andreae: Die wichtigste Aufgabe der Politik ist es, jetzt so zu handeln, dass wir am Ende gestärkt aus der Krise hervorgehen. Das bedeutet für mich, Klimawandel und Wirtschaftskrise zusammenzudenken anstatt veraltete Strukturen künstlich am Leben zu halten. Wir dürfen jetzt nicht auf kurzfristige Lösungen setzen, sondern müssen die Ursachen der Krise bekämpfen und den Blick in die Zukunft richten. Wir brauchen strenge Regeln für die internationalen Finanzmärkte und wir müssen unsere Wirtschaft so erneuern, dass sie wirklich nachhaltig wird. Denn der Klimawandel macht keine Pause, nur weil wir eine Finanzkrise haben.
Wirtschaftswetter: Was muss die Politik tun, um Arbeitsplätze zu sichern und neue zu
schaffen?
Kerstin Andreae: In der ökologischen Modernisierung unserer Wirtschaft liegt die größte Chance für neue Arbeitsplätze. Wir Grüne haben ein Konzept vorgelegt, wie wir in vier Jahren eine Million neue Jobs im Klimaschutz, der Bildung und dem Gesundheitsbereich schaffen können. Dazu gehören klare Vorgaben für den Emissionshandel und Grenzwerte zum CO2-Ausstoß für Autos, um Innovationen in unseren Industrien zu fördern. Aber auch geringere Sozialabgaben im Niedriglohnbereich, um die Schwarzarbeit zu bekämpfen und der massive Ausbau hochwertiger Bildungs- und Betreuungsangebote sind für uns wichtige politische Maßnahmen für mehr zukunftsfeste Arbeitsplätze.
Wirtschaftswetter: Sind Steuersenkungen angesichts der explodierenden Staatsverschuldung
realistisch?
Kerstin Andreae: Wir stehen vor einer gigantischen Staatsverschuldung, wie wir sie bisher nicht kannten. Wer in dieser Situation Steuersenkungen verspricht, macht den Wählerinnen und Wählern etwas vor. Wir müssen jetzt verantwortlich mit den knappen Staatsgeldern umgehen und gezielt in Zukunftsbereiche wie Bildung und Erneuerbare Energien investieren, um die Krise zu überwinden und langfristig überhaupt wieder Spielraum zur Entlastung von Bürgerinnen und Bürgern bzw. der Wirtschaft haben zu können.
Wirtschaftswetter: Was muss getan werden, um die Sozialkassen zukunftsfest zu machen?
Kerstin Andreae: Unter Rot-Grün wurde mit der Agenda 2010 bereits ein schmerzhafter Schritt unternommen, um die sozialen Sicherungssysteme zu stabilisieren. Die Reform der Sozialkassen ist aber noch lange nicht abgeschlossen. Wir müssen sie weiter stabilisieren und gleichzeitig dafür sorgen, dass kein Mensch in Deutschland durch das soziale Netz fällt. Deswegen wollen wir den Regelsatz von Hartz IV auf 420 Euro erhöhen und eine Kindergrundsicherung einführen, um der skandalös hohen Kinderarmut in Deutschland entgegenzuwirken. Um die Standards im Gesundheitswesen langfristig zu halten und das System gerechter zu gestalten, fordern wir zum Beispiel eine Bürgerversicherung, in die alle einzahlen, nicht nur die ArbeitnehmerInnen.
Das beste Rezept für funktionierende Sozialkassen ist aber nach wie vor, dass möglichst viele Menschen einer fair bezahlten Arbeit nachgehen können. Deswegen fordern wir neben Investitionen in Klimaschutz und Bildung einen Mindestlohn, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und eine bessere Integration von Älteren in den Arbeitsmarkt.
2009-08-28 Juliane Beer, Wirtschaftswetter
Text: ©Juliane Beer und Gesprächspartnerin Kerstin Andreae
Fotos Themenbanner: ©Sabine Neureiter
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