von Angelika Petrich-Hornetz
Nach mehreren Kaufhauspleiten, von denen die Arcandor-Insolvenz wahrscheinlich die bekannteste ist, schwelgt die Baby-Boomer-Generation in Erinnerungen. Kaum einer vorhanden, der nicht an der Hand von Mutti oder Vati die Rolltreppen hoch und runter gefahren war und mit großen Kinderaugen die Konsumglitzerwelt von Karstadt bestaunt hatte: die Schmuck-, Herren- und Damenabteilung, Regale voller duftenden Parfumflaschen und nicht zu vergessen die Spielzeugetage, wo es alles das zu geben schien, was das Kinderherz begehrte.
Zum Familienauflug ins Kaufhaus packte Mutti erst einmal ein: nachzumachende Schlüssel, Schuhe, die eine Besohlung nötig hatten. Oder sie machte die Kinder fotofein, denn neben Schlüssel-, Schuh- und allen möglichen anderen Diensten, gabs sogar einen Kinderfotografen. Das Eingepackte wurde am Anfang eines - zum Leidwesen Papis - stundenlangen Einkaufs erst einmal an den Zielorten verteilt, um es am Ende wieder einzusammeln, inklusive fertiger Fotos. Dazwischen wurde gekauft, gekauft und gekauft, noch eine neue Matraze bestellt, eine neue Bratpfanne gefunden und ein Tischtuch für die bevorstehenenden Festtage. Am Ende war die Frau des Hauses schwer bepackt sowie höchst zufrieden, die Kinder quengelig und der neu eingekleidete Ehemann nur noch hundemüde. Doch es war eben auch alles erledigt worden, was sich in den letzten Wochen zuvor im Haushalt so alles an unbedingt zu stopfenden Lücken aufgetan hatte.
Alles unter einem Dach - dieses Straßen- und Bürgersteigerfeger-Konzept, das zumeist Familien mit Kindern den notwendigen Großeinkauf ungemein erleichterte, begann im Laufe der Jahre ins Stottern zu geraten. Die Gründe sind bekannt: Das Sortiment, vom Küchmöbel bis zum WC-Paper, richtete sich auf den stramm durchorganisierten Alleinverdiener-Haushalt mit Kindern. Der wurde von einem, meistens einer sie, generalstabsplanmäßig bewirtschaftet. Genauso planmäßig wurde eingekauft, und zwar im Kaufhaus, denn da gab es ja alles. Es wurde zwar nicht täglich aufgesucht, dafür endeten die Besuche garantiert in einem Großeinkauf. Dieser wurde nach einer ellenlangen Einkaufsliste und in schweißtreibender Regalhatz mit anschließender Rolltreppenerklimmung (dort konnte man sich kurz erholen) gründlich abgearbeitet. Das ein oder andere Ungeplante landete schließlich auch noch im Einkaufswagen - spätestens in der Spieleabteilung. Außerdem waren alle Beteiligten irgendwann so erledigt, dass sie etwas trinken und essen mussten, also führten große Kaufhäuser auch immer mindestens ein Restaurant.
Doch sowohl durchorganisierte Alleinverdienerfamilien und große Haushalte als auch regelmäßige Arbeitszeiten, die regelmäßige Familieneinkäufe möglich machen, sind selten geworden. Die Haushalte schrumpfen, die Arbeitszeiten werden immer unübersichtlicher und es gibt immer weniger Kinder. Also braucht auch niemand mehr fünf Winterjacken in fünf verschiedenen Größen oder einen Ladenschluss um 18:00 Uhr, weil die Kinder ins Bett müssen oder die Sesamstraße kommt.
Längst sind junge und alte Singles in der Überzahl, die Wohnungen wurden kleiner, die Kühlschränke auch. Dementsprechend schrumpften auch die Spielzeugabteilungen zwar auch jedes Jahr Meter um Meter, jedoch wurde für diese kein ädequater Ersatz gefunden. Eine Zeit lang versuchte man es zum Beispiel halbherzig mit Computerabteilungen, die dasselbe wie der große Elektromarkt zwei Straßen weiter oder der Onlineversand anboten, nur teurer. Zuvor hatte man die Services abgebaut, der Schuhbesohler war längst wegrationalisiert. Auf die Idee eines Internetcafés mit Gastronomie kam man erst gar nicht, und das, obwohl so gut wie alle Teenager in den 1990er Jahren Lan-Partys feierten. Eltern, die ständig mit den Bildschirmen und Rechnern ihrer Kinder durch die Straßen kurvten, wussten das mangelnde Angebot zu schätzen. Inzwischen sind Auswärts-Kindergeburtstage mit oder ohne Fremdbetreuung ein Renner. Das führt die Doppelverdiener-Ehe so mit sich. In den Kaufhäusern kam diese nie an. In die Sortiments-Lücken der City-Kaufhäuser sprangen zu einem großen Teil indes die Händler auf der grünen Wiese: Heimwerkermärkte, Babymärkte, Schuhmärkte, Möbelmärkte, Elektromärkte und so weiter, und so fort.
Die Kaufhäuser boten dagegen in so konsequenter wie betriebsblinder Sturheit immer noch Handtücher, Tischwäsche, Bettwäsche, Damen-Twinsets, Herrenhosen und elfenbeinfarbenes Briefpapier im Uraltdesign an, so als hätten die letzten fünfzig Jahre nie stattgefunden. Und als gäbe es in jedem Haushalt nach wie vor mindestens zwanzig Kaffeekränzchen pro Jahr mit sechs bis zwölf Personen. Niemand braucht mehr mindestens einmal im Jahr ein komplett neues Kaffeeservice. Nur noch wenige Haushalte schaffen sich jedes Jahr sechs neue Teller nebst Suppenteller an. Singles gehen inzwischen auswärts Suppen löffeln und selbst Hausfrauen treffen sich in Cafés. Dass also auch diese letzten Abteilungs-Bastionen vergangener Kaufhauskultur irgendwann dem Online-Handel oder anderen Einkaufsmöglichkeiten zum Opfer fallen könnten, war damit nur eine Frage der Zeit. Und nicht nur die Tischkultur änderte sich in den vergangenen Jahren radikal.
Hinzu kamen Probleme der Erreichbarkeit wie autofreie Innenstädte plus mangelnde oder teure Parkplätze, mangelnder Service beim Transport der eingekauften Ware, und auch das aus allen Nähten platzende Angebot. Schließlich kann man heutzutage auch allein mit den neuesten digitalen Kameras gleich mehrere Quadratkilometer Verkaufsfläche bestücken. Und damit bietet das Kaufhaus inzwischen nicht mehr alles, sondern immer nur einen Ausschnitt eines latent vorhandenen, sich täglich erneuernden Riesenangebots. Doch was sprach nur dagegen, dem Kunden die Möglichkeit zu offerieren, gleich vor Ort das Nicht-Gefundene sofort zu bestellen? Ach, ja die Personalkosten, der Personalmangel und die fehlende Technik. Deshalb wurden Kunden in solchen Fällen nach Hause geschickt. Dort bestellten diese dann ab den 1990er Jahren online. Vorher gingen sie und woanders hin, nämlich auf die grüne Wiese. Und dort blieben sie, denn keiner versuchte sie zurückzugewinnen, zum Beispiel mit kurzen Wegen, einer besonderen Atmosphäre oder auch nur mehr Pragmatismus und mehr Service.
Die Kunden sind älter geworden. Bereits seit Jahren antwortet das Personal in verschiedenen Kaufhäusern auf die Frage nach den Kunden immer dasselbe: vor allem die Älteren kämen noch. Haben sich die Kaufhäuser deshalb nun gezielt auf ihre ältere Kundschaft eingestellt? Wurde der wachsenden Zahl junger und älterer Alleinstehender ein verändertes Warenangebot oder Services angeboten? Gerade in den Citys leben viele Alleinstehende. Wurde deren spezieller Bedarf ermittelt? Sogar an kommunalen Wahlergebnissen könnte man einige Wünsche potenzieller Kundschaft ablesen, die in unmittelbarer Nähe eines Kaufhauses lebt. Gleichzeitig knickte man vor der Konkurrenz auf der grünen Wiese ein, indem zu schnell und zu leicht Produkte und ganze Sortimente, die auch dort angeboten werden, aus den Regalen genommen, statt modifiziert wurden. Dabei sind längst nicht alle dazu bereit stundenlang im Auto zu sitzen, nur um einzukaufen. Gerade heutzutage nicht mehr. Das gilt allerdings auch für die umgekehrte Richtung - in die Innenstadt hinein.
Der Vorteil eines City-Kaufhauses ist dennoch nach wie vor das Konzept Alles unter einem Dach, nur findet die Haushaltsmehrheit dort heute eben nicht mehr alles, so wie noch vor dreißig Jahren die klassische Familie mit zwei Kindern dort alles bekommen konnte, was sie brauchte. Das sparte Zeit. Heute hat selbst die klassische Familie einen ganz anderen Bedarf als noch 1970. Die Freizeit verbringen Stadt-Familien bevorzugt draußen, an der frischen Luft und schon lange nicht mehr mit einem Ausflug in ein Kaufhaus. Sogar die noch treue, älter werdende Kundschaft wird langsam unzufrieden: Sie findet dort keine Garderobe, die dafür sorgt, dass sie nicht ins Schwitzen kommt, keine Apotheke für die vielen Arzt-Rezepte, keine Drogerie, die gleichzeitig Erwachsenenwindeln für zu pflegende Angehörige als auch Antiaging-Pflegeserien für die pflegende Angehörige anbietet. Sie findet keine eingekauften, innovativen Kreationen junger Designer, keine spannenden Eigenmarken, keine Schneiderei, keine Haushaltsgeräte für Rücken- und Rheumageplagte, kein einziges für die Pflegesituation, in der viele Berufstätige und jüngere Rentner heute stecken, anwendbares Technikgadget für Eltern, Kinder oder Enkel - auch keinen neuesten Schrei als Mitbringsel für die Enkel sowie keinen Lieferservice zum Parkplatz für das alles. So müssen sie also wieder alles einzeln zusammensuchen. Das kostet Zeit. Und danach soll diese Klientel noch ins Kaufhaus? Wozu?
Die Enkel wiederrum finden kein Skateboard, keinen USB-Stick, kein Fahrradzubehör, nicht die Jeans und nicht das Haargel, die sie haben wollen, auch nicht die T-Shirts einer bestimmten Marke aus der neuen oder der letzten Saison, keine Tickets für Konzerte und keine Schuhe ab Größe 48. Männer finden im Kaufhaus keinen Barbier, Frauen keinen passenden Badeanzug und selten flotte Highheels, Kinder inzwischen auch kein aktuelles Spielzeug mehr - und problemlos bestellen kann man es auch nicht. Junge Eltern finden keine Sitzgelegenheit, keine Kinderbetreuung, keinen Stillraum, der besser als die Parkbank draußen ist, und keine Waren, die es wert wären, so etwas hinzunehmen. Also wird auch das T-Shirt wieder irgendwo anders im Vorbeigehen und -sehen gekauft. Dieser eigentliche Marketingvorteil der Kaufhäuser, dass die Ware als Eigenwerbung stets im Blickwinkel des Kunden vorhanden ist, wird sträflich vernachlässigt, wenn das Angebot wenig sexy, sondern dry bis ultratrocken ausfällt.
Gleichzeitig weiß keiner mehr so genau, was die heutigen Verbraucher überhaupt gesammelt unter einem Dach vorfinden wollen. Versuche alternativer Kaufhausentwicklungen hat es dabei schon immer gegeben. Einige landeten im Aus. Andere setzten sich durch, und die waren meist spezialisert. Der einst belächelte Ökomarkt, treibt immer neue zweistellige Umsatzswachstumsblüten und betreibt inzwischen ganz ordentliche Verkaufsflächen, wo vom giftfreien Curry über zahllose Magazine für Öko-Hobby-Gärtner bis zum chemiefreien Prèt-A-Porter alles zu bekommen ist. Zusätzliche Angebote, die auf dem deutschen Markt auch in Kaufhäusern gut laufen könnten, wurden erst gar nicht probiert oder, wie die Apotheken, gerade erst von Gerichtsurteilen abgeschmettert. Dabei dürfte man sich den vorschriftsmäßig beratenden Apotheker locker leisten können.
Trotz allem: Das Konzept ist gut, und der Zeitpunkt, Kaufhäuser gerade jetzt fallen zu lassen, dürfte mühelos einen der ersten Plätze im Wettbewerb um ganz schlechtes Timing gewinnen: Zeitmangel, demografischer Wandel, zunehmende Wetterkapriolen, unregelmäßige Arbeitszeiten, immer weniger Hausfrauen, die hauhaltsnahen Dienstleistern die Jobs wegnehmen und sternewürdige Mahlzeiten bis hin zu ganzen Produktpaletten selbst herstellen können, immer mehr Singles und Paare, die wieder gut gelaunt zum Shoppen am Samstag in die Citys strömen, als gingen sie ins Theater oder zu einer Party: Besser könnte es eigentlich gar nicht laufen, um ein richtig schönes Kaufhaus mitten in der Stadt zu eröffnen (statt zu schließen). Nur, wie gesagt, keiner weiß so genau, was sich die Kunden von heute alles unter einem Dach wünschen. Aber das kann man ja ändern.
2009-07-01 Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
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