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Brötchenkultur

Zwei Normale bitte!

von Anne Siebertz

Brötchenkultur Ob man es nun wahrhaben will oder nicht - wir haben sie und es geht kein Weg daran vorbei: die Brötchenkultur. Nur – wir wissen es nicht. Denn wie selbstverständlich gehen wir im Alltag in eine Bäckerei, kaufen ein paar Brötchen und ziehen mit einer Papiertüte von dannen. Normal eben. Um uns bewusst zu machen, dass wir Deutsche das tun, muss erst ein Austauschschüler kommen und uns die Augen öffnen. Denn in anderen Ländern gibt es nicht die Vielfalt an Brötchen, wie sie dem Deutschen ach so lieb ist. Wie bitte, keine Brötchen?

Im Ausland wenig bekannt

Ein Blick über die Grenzen der Nachbarländer offenbart in dieser Hinsicht doch eine recht eingeschränkte Brötchenkultur. Der Franzose setzt zwar auf eine übergroße Vielfalt an verschiedenen Käsesorten, beim Brot allerdings ist ihm auf gut 1.000 Kilometer von Nord nach Süd und von Ost nach West sein Baguette in immer gleicher Form und Länge, allenfalls noch variiert durch das etwas schwerere ‚pain‘ lieb und teuer. Tag für Tag. Die Holländer mögen zwar viele weiche Brotsorten, bei Brötchen allerdings gibt es gerade mal ein paar Sorten, die wenig beachtet im Regal liegen. Bei den Engländern sind es die ‚rolls‘, die sich optimal für Eier mit Speck eignen, aber dann ist auch schon Schluss. In Norwegen gibt es sie zwar, aber man isst sie nur zu speziellen Anlässen. Auch kauft man sie nicht beim Bäcker, sondern tiefgefroren zum Aufbacken. In Griechenland gibt es die salzfreie Riesenvariante mit viel Luft und in Italien serviert der Kellner im Ristorante gerne stolz die kleinen ‚panini‘, bei denen es sich aber eher um die Reste aus dem Pizzateig handelt als um das, was wir Deutschen unter Brötchen verstehen. Die Schweden lieben riesige, gleichwohl teure Brötchen, und wir Deutschen lieben die hier erhältlichen ‚Schwedenbrötchen‘. In Dänemark dagegen türmt man auf eine dünne Brötchenschicht eine Unzahl an Zutaten, meist Salat, Rohkost, Fisch oder kaltes Fleisch und kämpft sich dann auch eher am Mittag durch sein Smörrebröd.
Dabei geht uns Deutschen doch nichts über ein gemütliches Frühstück mit den geliebten Teigwaren. Dafür laufen wir auch gerne in aller Herrgottsfrühe eben schnell zum Bäcker um die Ecke, sagen „zwei Normale, bitte“, legen knapp 50 Cent auf die Theke und sind schon wieder durch die Tür.

Normal ist immer verschieden

Brötchenkultur 2 Doch was sind eigentlich Normale? Genau genommen gibt es sie ja in allen Formen und Variationen: rund, eckig, oval, mit Loch oder ohne, schwer bis luftig, pappig, duftend frisch, kross, mit Körnern innen oder außen, groß, klein, hell oder dunkel. Ungeachtet der Formen- und Sortenvielfalt vertreibt jeder Bäcker sein ‚Hausbrötchen‘ und würde auf die Aufforderung „Zwei Normale, bitte“ niemals an etwas anderes als Brötchen denken.

Selbst auf einer Party mit großem Buffet dürfen sie nicht fehlen. Da bestellt man einfach ein so genanntes Partyrad – eine Ansammlung von aneinander gebackenen Brötchen mit Mohn, Sesam, Käse oder Körnern. Oder einfach das beliebte Rund in „Normal“. A propos rund: auch Namen hat das gute Stück viele: Rundstück, Weck, Schrippe, Semmel.
Das führt mitunter dazu, dass die normale Bestellung in einem anderen Bundesland ins Leere läuft. Verständnislose Blicke begegnen uns, wenn wir in Bayern etwa „sieben Brötchen“ bestellen. „Wos willst?“ Dabei liegt es doch auf der Hand, dass unser Wunsch nach den frisch duftenden Teigstücken vom Namen her eigentlich ein kleines Brot ist, ein Brötchen eben. Sollte man meinen. Doch das Brötchen wird nach einem ganz anderen Verfahren hergestellt. Und – seien wir mal ehrlich, es schmeckt auch gar nicht wie ein kleines Brot.

Brötchen mit lokalen Besonderheiten

Aus der Reihe der üblichen Bezeichnungen scheren auch die Kölner mit ihrem „Halven Hahn“, der auf keiner traditionellen Speisekarte im Brauhaus fehlen darf. Groß ist die Enttäuschung, wenn sich hungrige Touristen das vermeintliche Hähnchen zum kleinen Preis von etwa 3,80 Euro bestellen, dann aber stattdessen ein doppeltes Roggenbrötchen mit einer dicken Scheibe Käse serviert bekommen. Wobei das fingerartig aneinander gebackene Roggenbrötchen selbst unter dem Namen „Röggelchen“ oder auf Kölsch als „Röggelschen“ bekannt ist.

Brötchen ohne Knöllchen

Angesicht einer jahrhundertealten Tradition wundert es denn auch nicht, dass das Brötchen Einzug in das moderne Stadtleben genommen hat. Wer schnell mal eben mit dem Auto in die City fährt und für seine morgendlichen Brötchen in die Bäckerei springt, kann in vielen Städten dafür an der Parkuhr die so genannte „Brötchentaste“ nutzen. Damit kann man in vielen Orten mittlerweile eine Viertelstunde ganz umsonst parken. So wird das kalkulierte Brötchenbudget nicht unnötig belastet.

Brötchenkultur 3 Seit einigen Jahren sprießen in Deutschland auch etliche Selbstbedienungs-Bäckereien hervor. Da ist es noch einfacher, an seine geliebten Brötchen zu kommen: einfach die Sorte auswählen, mit einer Zange aufs Tablett legen, zahlen und fertig. Morgenmuffel, die sich weder lange anstellen möchten noch mit genauen Bezeichnungen (Meinten Sie die Weltmeisterbrötchen, die Delikatessbrötchen oder die Körnerbrötchen?) herumschlagen möchten, kommen hier wortlos zu ihrem Brötchenglück. Außerdem schmeckt die in großen Fabriken vorgefertigte Ware in allen Filialen einer Kette immer gleich und schützt vor bösen Überraschungen.

Die werden einem dagegen in einer normalen Bäckerei ab der Weißwurstgrenze in Form von Kümmel untergemischt. Wer die ‚Normalen‘ aus anderen Bundesländern gewohnt ist, wird entsetzt sein, wenn er feststellt, dass sein Marmeladenbrötchen mit Kümmel versehen ist.

Natürlich gibt es noch vielerlei Varianten: süß mit Milch, Rosinen oder Zucker, aus Hefe, Ölteig, Quarkteig, aber doch bleiben sie für uns immer eines: Brötchen eben. Guten Appetit!


2009-10-01 Anne Siebertz, Wirtschaftswetter
Text + Fotos: ©Anne Siebertz

Fotos Themenbanner: ©Cornelia Schaible
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