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Studium als Luxus

Auf Pump Studieren wird unbeliebt

von Angelika Petrich-Hornetz

BücherWas Jugendliche denken, sagen sie selten so offen wie letzte Woche zwei Exemplare, die sich im Bushaltehäusschen darüber unterhielten, was sie nach ihrem Abitur anfangen werden: eine Ausbildung. Die Erinnerung an die Schulzeit der Babyboomer meldet sich wieder, jedenfalls die der weiblichen: Früher war die Lehrstelle vor allem unter Mädchen mit Abitur eine nicht unübliche Variante und greift offensichtlich neuerdings auf beide Geschlechtern über, zwecks Vermeidung eines Studiums aus Kostengründen.

Statt akademischer Überflieger eher Bodenständiges? Ein gutes Abitur wurde bei den Massen von Schülern und Jugendlichen, die zwischen 1959 und 1969 geboren wurden, nicht immer als Großereignis aufgefasst, sondern häufig als ein nicht mehr und nicht weniger etwas qualifizierterer Abschluss als die Mittlere Reife. Es wurde eher anerkennend hingenommen, schließlich wusste man, dass danach, so oder so, lange noch nicht Schluss war. Und es gab immer einen gefühlten Großteil, wie gesagt, damals vor allem noch Mädchen, die ganz bewusst erst einmal eine gute Ausbildung absolvieren wollten, um in jedem Fall etwas zu haben, damit zweigleisig oder aufbauend oder wie immer man es nennen will zu fahren -, und später in jedem Fall für sich selbst sorgen zu können.

Und in der Tat, einige hängten später, sobald sich eine günstige Gelegenheit ergab, noch ein Studium an. Und das keineswegs immer sofort, wie der Industriekaufmann, der nach seinen passablen Prüfungsergebnissen und dem offensichtlichen Desinteresse des Ausbildungsbetriebs, ihm weitere Perspektiven zu eröffnen Luft- und Raumfahrtechnik studierte, und zwar gleich im Ausland und schließlich mit Auszeichnung abschloss. Die hohe Qualität der persönlichen Bildungs-Anstrengung zeigte sich auch bei fünf Krankenschwestern, von denen nach ein paar Jahren Berufserfahrung vier nichts Geringeres als Medizin und eine Tiermedizin studierte, Letztere übrigens, nachdem die Kinder groß genug waren, um Mutti ein paar Stunden länger am Tag entbehren zu können. Das wirft eine Frage auf: War das Bildungssystem früher etwa durchlässiger als heute, wo es doch gerade heute eigentlich wesentlich durchlässiger sein müsste als gestern?

Zumindest gab es früher keine Studiengebühren, ganz früher sogar Bafög ohne Darlehen. Das ist alles längst vorbei und macht es den heutigen Studenten auch alles andere als einfacher, jedenfalls den finanziell schlecht durch ihre Eltern Abgepolsterten. Heute trifft man eher auf die früher noch exotische Variante er arbeitet, sie studiert oder umgekehrt - und später wird munter getauscht. Damit sind späte Mutterschaften allerdings vorprogrammiert, schließlich dauert das Ganze etwas länger, und die Mutterschaft von Studentinnen wird vom Staat nicht annähernd so gut gefördert wie die von Arbeitnehmerinnen. Ökonomisch klüger, als auf Pump zu studieren, erscheint so eine Abmachung jedoch allemal.

Noch mehr und länger arbeiten müssen die doch in der Regel eher alleinstehenden Studenten, die nicht das Glück reicher Eltern oder eines Partners mit festem Einkommen haben. Und sie müssen gleichzeitig: lernen und arbeiten, eine Kombination, die nicht erst seit Einführung von Studiengebühren ein Studium erheblich verlängern kann. Ein Teufelskreislauf. Bedauerlicherweise spukte vor Einführung der Gebühren eher nicht diese fleißige, sich aufreibende Art Student, sondern vielmehr der faule Langzeitstudent in vielen Köpfen herum, sonst wäre das herrschende Chaos vielleicht einigermaßen vermeidbar gewesen. Laut Studiengebühren-Befürwortern sollte der Teufelskreislauf für nicht und nur etwas weniger begüterte (wobei man wohl Letztere für die Regel hielt) Studenten durch zinsgünstige Studienkredite unterbrochen werden - und gleichzeitig durch eine neue Stipendienkultur unterstützt werden. Die aktuellen Nachrichten sprechen jedoch nicht unbedingt dafür, dass es besonders gut damit läuft.

So berichtete die ARD-Sendung Monitor* Ende September über Studenten-Insolvenzen und nannte Zahlen, die nicht viel Gutes ahnen lassen: Seit der Einführung der Studienkredite vor drei Jahren leben mittlerweile 60.000 Studenten - die meisten davon Studienanfänger - auf Kredit, mit einem Darlehen von durchschnittlich 476 Euro im Monat. Auch die Zinsen der KfW sind variabel, mit einer Obergrenze von 9,1 Prozent. Selbst mit wenig Fantasie kann man sich ausrechnen, was das am Ende eines Studiums für einen eben auf den Arbeitsmarkt entlassenen Berufsbefähigten bedeuten kann. In einem konkreten Fall des TV-Berichts wird einer betroffenen, überschuldeten Studentin dann tatsächlich geraten, in die Privatinsolvenz zu gehen - trotz gutem Abschluss und vier Sprachen, nur leider noch keinem Job und keinem Einkommen in Aussicht. Mögliche Arbeitgeber werden über insolvente Bewerber sicher ebenfalls begeistert sein. Einen noch mieseren Start ins Berufsleben kann man sich wohl kaum vorstellen.

Wer nun meint, dagegen helfe ein Stipendium, gerade wenn es sich um besonders begabte Studenten handelt, wird ausgerechnet jetzt durch eine neue Studie des Hochschul-Informations-Systems (HIS) belehrt, die in der heilen Welt der Begabtenförderung für Unruhe sorgt und über die jüngst in der Zeit* zu lesen war. Auch diese Förderung richtet sich stark an dem sozio-kulutrellen Hintergrund der Studenten aus, heißt es da, und setzt damit das Prinzip, Akademiker-Eltern gleich Akademiker-Kind in Bereichen durch, in denen ein gewisses Maß an Leistungsorientierung ohne Rücksicht auf die Herkunft auch für die später nutznießende Allgemeinheit nicht abträglich wäre. Doch um die Allgemeinheit geht es offenbar gar nicht, die neue Studierlandschaft sorgt vielmehr dafür, dass man unter sich bleibt. Mehr Durchlässigkeit des Bildungssystems, in Folge dessen ein größerer Nutzen für die Allgemeinheit oder gar mehr Vielfalt und damit mehr Möglichkeiten für alle in einer Gesellschaft und für die Gesellschaft als solche sind nicht einmal mehr theoretische Ziele. Der Preis, den aber alle dafür zahlen werden, heißt Einseitigkeit - und ist viel zu hoch.

Vor diesem Hintergrund wird der unfreiwillig belauschte Dialog der beiden Abiturienten auf der Straße verständlicher. Auch wenn die Arbeitslosenzahlen unter Akademikern immer noch deutlich niedriger sind als unter anderen: Es gibt sie, die arbeitslosen Akademiker, es gab sie schon immer und kein Mitgefühl ist ihnen auch heute noch ganz sicher. Nur haben sie heute mehr Schulden - und das hat gerade für eine rapide alternde Gesellschaft wie die deutsche mindestens genauso fatale Folgen wie die derzeit stark ansteigende Jugendarbeitslosigkeit. Kein Wunder also, dass sich trotz OECD-Dauerwarnung, die Studierendenzahlen in Deutschland seien zu niedrig, junge Menschen ohne Finanztopf im Rücken heute wieder fragen müssen, warum sie sich unbedingt für etwas verschulden sollen, von dem ihnen niemand mehr sagen kann, was am Ende dabei herauskommt.

Pleite-GeierZumal die Prognosen von Dritten für eine ökonomische und zukunftssichernde Studienfachwahl bislang auch nicht besonders zuverlässig eintrafen. Das Modell, finde einen arbeitenden Partner und studiere ohne Kredit - auf (oder ohne) Gegenseitigkeit, scheint immerhin praktikabel - eine Art Bildungs-Partnerschaft im gegenseitigen Einvernehmen. Schließlich kann man auch Haushaltshilfen steuermindernd geltend machen, warum eigentlich keine armen Studenten fremder Herkunft? Der sozio-kulturelle Hintergrund des Bildungspartners als Finanzierungsersatz für irgendwelche Eltern dürfte damit in den meisten Fällen ebenfalls gewahrt bleiben. Keine Zacke fiele aus imaginären Kronen, selbst dann nicht, wenn nur schlichtes Geld auf hehren Geist träfe. Doch vielleicht hat Putzen in Deutschland ja auch nur viel schlichter immer noch einen höheren Stellenwert als Bildung?

*Zeit, Artikel 2009: "Wer hat, dem wird gegeben"


2009-10-01 Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
Illustrationen: ©ap
Fotos Themenbanner: ©Cornelia Schaible
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