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Laubenpieper-Trendsetter zeigen, wo's langgeht

Hackenporsche

von Birgid Hanke

Während eines Stadtbummels, stand ich plötzlich verständnislos vor einem seltsamen Gebilde und wußte überhaupt nichts damit anzufangen. Es war in einem dieser Läden, die früher einmal „Möbelgeschäft und Zubehör“ hießen, sich heutzutage „Casa Ambiente“ nennen und Lifestyle verkaufen. Da stand nun dieses Teil, ein schwarzes Gestänge, das entfernt an einen zusammengeklappten Buggy erinnerte. Und plötzlich schnappte sich eine junge Dame, deren Auftreten nebst „Styling“ nicht das mindeste mit dem einer abgehetzten Mutter zu tun hatte, dieses seltsame Gebilde, drehte es herum und zog es hinter sich her. Ich glaubte, meinen Augen nicht zu trauen. Das war ja ein Hackenporsche. So heißen sie doch, diese meist schottisch karierten, beräderten Einkaufstaschen, die unseren älteren Herrschaften den Alltag seit Jahren erleichtern.

Hatten wir nicht immer ein bißchen gelächelt, wenn so eine Oma oder ein Opa mit seinem kleinen Karren dahergezockelt kam und uns insgeheim über dieses Gefährt lustig gemacht. Nun scheint dessen Verwendung auf einmal trendy zu sein. Natürlich bedurfte es dazu eines neuen outfits. Mit seinem rabenschwarz lackiertem Gestell und der türkisfarbenen Tasche wirkte der so geliftete Rentnerporsche nunmehr frisch und jugendlich, kein bißchen piefig oder gar spießig mehr.

Wie Schuppen fiel es mir plötzlich von den Augen. Hach, jetzt bin ich ihnen doch auf die Spur gekommen. Ich weiß nun endlich, wer die neuesten Trends dieser unserer Gesellschaft prägt.

Mathias Horx, Gail Popcorn oder wie ihr Trendforscher heißt. Alle mal herhören ! Schickt eure Scouts nicht mehr in die Scene, die schicken Lokale, in-Discos, Kunstgalerien und dergleichen mehr, schickt sie in den Supermarkt um die nächste Straßenecke, in die Altersheime, in die Vororte oder Kleinstädte, aus denen die Jugend abgewandert ist und studiert die Lebensgewohnheiten der dort Verbliebenen: Und ihr werdet sehen: Sie sind es, die uns das vorleben, was wir, um Jahre versetzt, einmal als allerneueste Entwicklung unserem Alltag einverleiben werden. Einst verpönte Verhaltensweisen sind nunmehr nicht mehr spießig, sondern vielmehr „kultig“.

Damit ist nicht die Nostalgiewelle gemeint, die uns vor nunmehr zwanzig Jahren in die Second-Hand-Läden rennen ließ, um Opas Weste oder das gestreifte Hemd mit dem Stehkragen zu erstehen. Keine Küche der jüngeren Generation ohne Häkelgardine am Fenster, aber um Himmels Willen nicht Muttis Tüllstores. Wer weiß ? Usambaraveilchen und Azaleen, noch schmücken sie die Fensterbänke der Wohnblocks und bescheidenen Einfamilienhäuschen der Vororte, aber stehen vielleicht doch schon in den Startlöchern, um alsbald in den durchgestylten Altbauwohnungen der verwöhnten Singles und Dinks zu landen. Das Spargelgrün feiert gerade ein fulminantes Comeback. Da kann die rosa Nelke nicht mehr weit sein,

Aber hatten wir nicht schon häufiger über die Lebensgewohnheiten unserer „Oldies“ gelächelt und uns geradezu leidenschaftlich dagegen verwahrt, sie zu übernehmen. Wie war es denn mit Aldi ? Seit fast zwanzig Jahren predigten mir sowohl Schwiegermutter, als auch Mutter die Vorteile dieses Discounters. „Das ist vom Aldi.“ Wie oft bekam ich diese Auskunft, wenn mir Käse und Wurst am schwiegerelterlichen Abendbrottisch besonders mundete oder ich mich für ein der Enkelin zugedachtes praktisches Kleidungsstück bedankte. „Ich versteh‘ gar nicht, daß ihr da nicht häufiger einkauft, der liegt bei euch doch gleich um die Ecke.“ „Neeee, der Laden ist so ungepflegt und außerdem gibt’s da keine frische Butter“, lautete jahrelang die etwas lahme Ausrede.

„Beim Aldi gibt’s jetzt auch frische Butter“, verkündete Schwiegermutter eines Tages. Welch ein Triumpf in ihrer Stimme ! Ein leichte Verunsicherung schlich sich in unsere starre Ablehnung ein. Und dann segnete eine große Wochenzeitung den Einkauf bei dem Billigdiscounter in Form einer farbigen Bildreportage ab. Sogar die konsequenten Ökos und Refomladenkäufer wurden nun schwankend. Und der Pinot Grigio, der Rieslingssekt und nicht zu vergessen, der Champagner. Nicht nur trinkbar, sondern dies auch mit Genuß. Ja, es hat sich ein regelrechter Kult um diese Läden herum entwickelt. Der leichte italienische Weißwein wird gleich

palettenweise von den jungen Werbeleuten der Agentur um die Ecke abgeschleppt. Und auch wir haben uns in die Schlange der regelmäßigen Kunden eingereiht. Nur das Wundern über die Höhe, was da heißt die Niedrigkeit der zu entrichtenden Geldsumme, haben wir immer noch nicht aufgegeben.

„Siehste, siehste, ich habe es doch schon immer gesagt,“ Schwiegermutter ist zufrieden. Sie und noch viele andere Schwiegermutter haben noch viel mehr Grund, mit uns zufrieden zu sein, denn wir, die lange verloren geglaubte Generation sind ja endlich vernünftig geworden. Bietet nicht unser neuer Außenminister, das einstige enfant terrible des Hessischen Landtags und rot-grünen Kabinetts, das beste Beispiel dafür? Mit Verlaub gesagt, lieber Joschka, als ich neulich deinen Façonschnitt mit dem ausrasierten Nacken von hinten sah, fühlte ich mich fatal an die Frisuren gewisser Herren erinnert, mit denen du bestimmt niemals etwas zu tun haben möchtest. Deren Fotografien kennen wir doch alle noch aus unserer Kindheit. Man(n) muß doch nicht gleich so übertreiben, Joschka. Aber Deine diversen Schwiegermütter werden sich an deinem Auftritt erfreut haben. Du wenigstens hast es wirklich zu etwas gebracht. Wer hätte das gedacht?

„Hättest du jemals geglaubt, in deinem Leben einmal eine begeisterte Laubenpieperin zu werden ?“ habe ich meine alte Freundin vor wenigen Wochen anläßlich eines Wiedersehens nach vielen, vielen Jahren gefragt. Vor mehr als vierzig Jahren haben wir einander im Sandkasten mit Schaufel und Matsch attackiert, als junge Mädchen zur gleichen Zeit in der gleichen Stadt und teilweise sogar die gleichen Fächer, aber nicht gemeinsam studiert. Zu unterschiedlich verlief unsere jeweilige persönliche Entwicklung, zu weit drifteten hohes politisches Engagement und diesbezügliche Indifferenz auseinander.

Nach Jahrzehnten haben wir uns wiedergesehen und neben den gemeinsamen Kindheitserinnerungen eine neue Gemeinsamkeit entdeckt: Völlig unabhängig, aber nahezu zeitgleich haben wir die Liebe zur Kleingärnterei entdeckt. Laubenpieper in Berlin und Parzellisten auf der Werderhalbinsel in Bremen. „In deinem Glückwunsch zu unserem neuen Garten klang ja fast schon Schadenfreude durch“, wirft sie mir vor, grinst aber dazu genauso spitzbübisch wie damals, als sie noch die langen braunen Zöpfe trug, an denen ich immer zog, wenn wir Streit miteinander hatten. Nein, Schadenfreude war es nicht, sondern eher so etwas wie Genugtuung, ähnlich wie Schwiegermutter es wohl empfunden haben muß, als wir von unserer Entscheidung, uns einen Kleingarten zugelegt zu haben, Mitteilung machten. Hatte sie es nicht schon immer gesagt?

2003 by Birgid Hanke, Wirtschaftswetter
Text: ©Birgid Hanke

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