von Maja Schucht-Rump
Bestimmt hat jede schon Erfahrungen im Rollenspiel. Erinnern Sie sich an die Zeit als Kind, in der Sie ständig in andere Rollen geschlüpft sind, beim Mutter-Vater-Kind-Spiel, als Prinzessin oder gewiefte Privatdetektivin auf den Spuren der drei Fragezeichen? Sicherlich fällt Ihnen mindestens ein Beispiel aus ihrer Kindheit ein. Und letztlich geht es beim Fantasy-Rollenspiel um nichts anderes, als einfach die Realität hinter sich zu lassen, um für ein paar Stunden in die Rolle eines anderen Charakters zu schlüpfen.
Eine Rollenspielrunde besteht in der Regel aus 3-5 Spielerinnen und einer Spielleiterin. Jede Spielerin stellt dabei einen Spiel-Charakter dar, den sie sich nach festgelegten Regeln selbst gestalten darf. Die Spielleiterin hat die Aufgabe, durch ihre Erzählungen und Szenebeschreibungen die Welt rund um die Charaktere zu erschaffen. Ein Beispiel: „Es ist 3 Uhr nachts, Mitte November in einer verregneten Seitenstraße des Frankfurter Hauptbahnhof. Außer einem schrottreifen Bulli ist kein Fahrzeug auf der Straße. Die wenigen Laternen liefern nur ein sehr schummeriges Licht, dass den Regen wie silberne Tränen erscheinen läßt. Aus einer offenen Wohnungstür hört Ihr einen lauten Streit, dann einen dumpfen Schlag, ein Knurren und dann Stille....... Was tut Ihr?“
Die Welt der Charaktere wird dabei zum einen von einer Spielleiterin erschaffen, aber viel wesentlicher von den Spielerinnen selbst und ihrem Verhalten in den Spielsituationen bestimmt. Da sich die Spielsituation zwangsläufig ständig verändert, ist es Aufgabe der Spielleiterin, die unterschiedlichen Vorstellungen und Lösungswege der Charaktere zu koordinieren und zu lenken, so dass sich die Grundstruktur des Szenarios und die Aktionen der Spielerinnen zu einer fortlaufenden Geschichte entwickeln. Dabei passiert es eigentlich in jeder Runde, dass die Spielerinnen nie den Weg einschlagen, den die Spielleiterin für sie vorgesehen hatte. Von ihr ist also jederzeit höchste Kreativität gefordert.
Rollenspielsysteme und –szenarien gibt es reichlich. Ein kurzer Blick in die Datenbank der Rollenspielerbörsen zeigt 34 Resultate. Und dabei sind das nur die Meistgespielten. Das Angebot reicht von mittelalterlichen bis zu Cyberpunk-Welten, von düsteren Gothic-Szenarien über bizarre Zukunftsvisionen bis hin zum lustig-knuffigen Plüschtier-Rollenspiel. Für jeden Geschmack sollte also etwas dabei sein. Und wer sein schauspielerisches Talent so richtig ausleben möchte, kann sich einer Live-Rollenspiel-Gruppe anschließen, mit Verkleidung sowie Accessoires wie z. B. Zauberstäben, Spielzeugwaffen u. a, natürlich immer unter Rücksichtnahme auf Unbeteiligte und einem absoluten Verbot von Gewaltanwendung jeder Art.
Hier stelle ich Ihnen einmal das System „Vampire-Die Maskerade“® vor.Die Hintergründe des Spiels: Neben der menschlichen gibt es auch eine Vampir-Gesellschaft. Diese Vampirgesellschaft hält überall in dieser Welt, und in allen Bereichen, die Fäden in der Hand. Sie benutzt die Menschen im Zweifel als Marionetten, um die eigenen Ziele zu erreichen. Da Vampire nicht nur 70-80 Jahre auf der Erde wandeln, sondern ihr Dasein im Grunde unbegrenzt ist, geht es um Macht und Machterhalt. Es geht aber auch darum, mit dem inneren Tier zu leben und es immer wieder zu besiegen, um überhaupt ein halbwegs strukturiertes „Unleben“ führen zu können. Das bedeutet im Spielverlauf ganz konkret, nicht jedem Impuls zur Gewalt oder gar zum Töten nachzugeben. Das Töten und Aussaugen von Menschen ist sogar ganz untersagt. Ein weiterer und gleichzeitig sehr wesentlicher Punkt dieses Szenarios: Die Existenz von Vampiren wird vor den Menschen unter allen Umständen verheimlicht. Andernfalls wäre eine Hexenjagd möglich und aufgrund der zahlenmäßigen Überlegenheit der Menschen, wären die Vampire trotz ihrer Macht früher oder später ausgelöscht.
Eine typische Story in dieser Welt könnte z.B. so aussehen, dass in der Stadt, in der die Vampirinnen sich gerade aufhalten, immer wieder Vampire verschwinden und die Spielerinnen damit beauftragt werden, diesen Vorkommnissen nachzugehen. Auf ihrem Weg durch die Abgründe der Stadt begegnen sie anderen Vampiren, aber auch Menschen und, wenn es schlecht läuft, anderen unangenehmen Gestalten wie Werwölfen oder Geistern. Diese sogenannten Nichtspielercharaktere werden von der Spielleiterin übernommen, die sie nach ihrem Gutdünken, aber immer in Übereinstimmung mit dem Szenario, spielt. Ausserdem entfalten sich im Lauf der Zeit Nebenstränge in der ursprünglichen Geschichte, weil die Spielerinnen in die Intrigen und Ränkespiele der anderen Vampire hineingezogen werden.
So entsteht eine komplexe Fantasie-Welt und mit ihr auch die Möglichkeit, den eigenen Spielcharakter immer weiter zu entwickeln. Durch die Individualität jeder Mitspielerinbesteht so auch immer die Gewähr, dass jedes Spiel einzigartig ist und jede Rollenspielgruppe die entstehenden Probleme auf ihre eigene Art lösen kann. Natürlich ist dabei nicht garantiert, dass jeder Weg zum Erfolg führt, aber auch das macht die Spannung aus.
2003-10-08 Maja Schucht-Rump, Wirtschaftswetter
Text: ©Maja Schucht-Rump
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