von S. Stern
Mein Schlafzimmer in Shanghai! Heute Morgen bin ich nur unter größter Selbstüberwindung aufgestanden. Meine Nase fühlte sich wie ein Eiszapfen an, und nachdem ich einen Fuß aus den Federn gestreckt hatte, zog ich ihn auch schon wieder in die wohlige Wärme der Bettdecke zurück. Shanghai liegt zwar in den Subtropen, aber durch den kalten Westmonsun im Winter wird es hier doch relativ kalt. Null bis drei Grad sind dabei keine Seltenheit. Dazu kommt noch eine sehr hohe Luftfeuchtigkeit und schon sind kalte Füße vorprogrammiert. Ich liebe unsere Wohnung im 25. Stock, aber es gibt nun einmal keine Heizung. Gepaart mit der schlechten Isolierung und den einfach verglasten Fenstern verwandelt das unsere vier Wände beim ersten Eintreffen von den weniger wärmeren Luftmassen in einen Kühlschrank. Sie denken jetzt bestimmt, dass wir in einer sehr einfachen Wohnung leben, denn eine Heizung in einer Region mit Temperaturen, die es fast mit einem Winter in Österreich oder Deutschland aufnehmen können, sollte doch eigentlich zum Standard gehören.
Nun, so einfach ist das nicht. Es gibt eine Regelung aus einer Zeit in der die chinesische Politik sogar die Naturgesetze in die Gewalt nahm und schlicht bestimmte wo es eine Heizung geben darf und wo nicht. Shanghai liegt südlich vom Jangtse und somit leider südlich dieser Heizungslinie, ergo gibt es hier nirgendwo welche. Gepriesen sei der Erfinder der Klimaanlage, denn diese ist auch in der Lage uns zu wärmen und dient uns somit im Winter als halbwegs brauchbarer Heizungsersatz. Dennoch, die Klimaanlage, ein Heizstrahler und Warmluftgebläse geben nur punktuelle Wärme ab und dort wo die warme Luft nicht hinkommt bilden sich Kaltluftseen. Und sobald man die Geräte ausschaltet wird es augenblicklich wieder kühl, so dass sich hier einfach nie eine behagliche Wärme entwickeln kann. Heiß wird es uns wohl nur dann werden, wenn wir am Ende des Monats die gigantische Stromrechung erhalten. Gut, dass ständig irgendwo Ausverkauf ist, denn so habe ich beschlossen dem Dauer-Frieren mit einer neuen Schicht Kleidung zu begegnen.
In meiner Nähe befindet sich ein großes Einkaufszentrum, dem ich heute einen Besuch abstattete. Einkaufen ist – nach Essen - die liebste Freizeitbeschäftigung der Shanghainesen und so haben die Geschäfte hier an sieben Tagen der Woche von 10:00 bis zumindest 21:00 Uhr, an Feiertagen sogar noch länger, geöffnet.
Neben staatlich geführten Geschäften, gibt es eine Vielzahl eleganter Boutiquen mit westlichen Marken.
Die Auswahl an Geschäften ist gigantisch und erinnert mich stark an amerikanische Shopping Malls. Heute konnte ich sogar meine patriotischen Gefühle befriedigen, denn ich fand einen kleinen Kristall-Laden. Die glitzernden Schmuckstücke und Figuren aus Kristall sind hier überaus beliebt und die Kollektionen sind umfangreich sowie recht teuer. Besonders faszinierend fand ich wieder einmal die Anzahl der Verkäuferinnen. Das Geschäft war hoffnungslos überbesetzt und so standen in dem maximal zwanzig Quadratmeter großen Shop sage und schreibe acht Verkäuferinnen und hatten nichts zu tun. Personal kostet hier nicht viel, Menschen gibt es in China mehr als genug.
Es gab hier so viel zu sehen, dass ich beinahe meinen eigentlichen Grund für den Abstecher in die Shopping Welt vergessen hätte - der Pullover! Das Einkaufszentrum ist noch dazu geheizt und das trotz den zweifelhaften Relikten kommunistischer Heizungspolitik. Ich war mir plötzlich nicht mehr sicher, ob ich einen dicken Pullover überhaupt brauchen würde.
Die Erinnerung an mein Iglu im 25.Stock, führte mich jedoch wieder zurück in die Realität. Mein Blick schweifte also nach einem warmen Pullover aus. So entdeckte ich ein hübsches Geschäft, welches Kleidung ganz nach meinen Geschmack zu haben schien. Nachdem es noch dazu voll von drängelnden Chinesen war, wertete ich dies als gutes Zeichen und ging hinein. Wie zuvor im Kristall-Geschäft stand auch hier wieder eine Heerschar an gelangweilten Verkäuferinnen herum. Ich schaute mich ein wenig um und dabei konnte ich das Personal aus dem Augenwinkel betrachten. Zuerst dachte ich noch, ich hätte mich getäuscht, aber ich hatte schon richtig gesehen.
Inmitten einer Fülle von Kunden zupfte sich eine Verkäuferin gemütlich die Augenbrauen, während eine andere sich gerade anschickte, ihre Fingernägel genüsslich und ohne schlechtes Gewissen zu schneiden. Die Nägel flogen in hohem Bogen durch den Raum und so verließ ich angeekelt das Geschäft.
Immer wieder sieht man Verkäuferinnen, die sich während der Geschäftszeiten, inmitten von unzähligen Kunden, die Wimpern tuschen, Lippen nachziehen oder ihr Make-up auftragen. Die Sache mit dem Schminken ist ja noch einigermaßen erträglich wenn auch befremdlich. Die fliegenden Fingernägel empfand ich allerdings nur noch als grauslich. Auch der Verhaltenskodex, eben das, was allgemein für gut und richtig erachtet wird, was man in der Öffentlichkeit tut oder besser unterlässt, ist hier ein anderer.
Mittlerweile war es 11:30 Uhr geworden und eigentlich wollte ich einen Zwischenstopp in einem Teehaus einlegen. So recht wollte sich die Lust dazu jedoch nicht einstellen. Die Episode mit den Nägeln lag mir noch im Magen und hat mir nicht zuletzt auch wieder einmal die Unterschiede in den Hygienevorstellungen verdeutlicht.
Einen Pullover fand ich dann doch noch. In einem in elegantem, in dunklem Holz gehaltenem Geschäft lag das gute Stück und es war preiswert. Wie ich es von meinen österreichischen Shopping Touren gewöhnt bin, nahm ich ein Exemplar in Größe Small aus dem Regal. Ich wollte gerade in einer Umkleidekabine gehen, als mir eine Verkäuferin das Stück regelrecht wieder entriss und gegen ein Exemplar in Größe Medium eintauschte. Zuerst wollte ich protestieren, denn Medium würde mit Sicherheit zu groß sein. Die Sprachbarriere entlockte mir jedoch nur ein freundliches Lächeln und ein bekräftigendes: „Hao de“ (gut).
Die Verkäuferin zeigte mir dann die Umkleidekabine und verursachte damit ungewollt den nächsten Schock. Die vermeintliche Kabine war das Kontrastprogramm zu dem superschicken Laden. Ein winziges, voll geräumtes Kammerl, das wohl als Lagerraum und Aufenthaltsraum zugleich dient. Zudem verliefen verschmutzte, leicht brüchige Elektrokabel in Kopfhöhe und das Türschloss war kaputt. Die Beschreibung des hygienischen Zustandes des Bodens möchte ich Ihnen ersparen. Nur so viel: Ich werde niemals mehr über den Staub in heimatlichen Umkleidekabinen jammern. Nachdem ich mich mit viel Mühe von meinen zwiebelartigen Schichten an Bekleidung befreit hatte, diese nirgends aufhängen konnte und so in meine viel zu kleine Handtasche stopfen musste, gelang es mir doch noch, irgendwie in den Pulli zu schlüpfen. Und siehe da. Medium war zu klein. Die Ärmel endeten drei Zentimeter über dem Handgelenk und meine Oberarme fühlten sich eingequetscht an. Medium ist offenbar nicht überall gleich groß. Etwas beschämt fragte ich: „Qingwen, ni you mei you da yidiande? " - nach einer Nummer größer. Large passte dann perfekt.
Irritierend, aber aufschlussreich war zum Abschluss noch der Vorgang des Bezahlens der Ware: Die Verkäuferin musste den Betrag zunächst per Hand auf einen Kassenblock mit vier (!) Durchschriften schreiben. Danach verließen wir das Geschäft gemeinsam ohne Ware, um zu einem zentralen Kassierer zu gehen. Dort wurde dann der händische Zettel in die elektronische Kasse übertragen und erst jetzt durfte ich bezahlen. Das Original der Rechnung und die vielen Durchschriften wurden jetzt noch mit einem roten Stempel abgestempelt und dann ging es zurück in das Geschäft, in dem ich meinen Pullover plus einen der gestempelten Beleg ausgehändigt bekam.
Zai jian, herzlichst, Ihre S. Stern
2003-12-06 copyright by S. Stern, Wirtschaftswetter
Text + Fotos: ©S. Stern
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