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Kieler Woche 1

... und ich mittendrin

von Moon McNeill

Noch tief traumatisiert vom Kommerzrummel der Hamburger Hafenfeste zog ich zum Jahrtausendwechsel nach Kiel - ausgerechnet in unmittelbare Nähe des Marinehafens. Hier beginnt und endet jedes Jahr die Kieler Woche, das größte Segelfestival Europas.

Einen kleinen Vorgeschmack auf den Unterschied zu meinen Hamburger Erfahrungen erhielt ich gleich zu Beginn: Ganz Kiel fiebert alljährlich der Kieler Woche entgegen! Sobald die Segelboote mit Riesenkränen aus den förde-nahen Winterlagern an ihre Wasser-Liegeplätze verfrachtet wurden, scheint alles einzig und allein den Regatten des Sommers entgegen zu streben. Es ist, als ginge ein leises, fast unhörbares Beben und Summen durch die Stadt. „Was, Du kennst die Kieler Woche nicht?“ staunte ein "Eingeborener", als ich ihm dies im ersten Jahr nach Hdem Umzug erzählte. Die Kieler sind kommunikativ, für einen spontanen Schnack auf dem Spazierweg findet sich immer Gelegenheit. "Na, denn!! Du wirst sie lieben." Und so ist es auch!

Ein starker Dieselgeruch über dem Viertel kündigt die Armada der Marineschiffe an, die alljährlich - von Flottenmanövern in der Ostsee heimkehrend - eine der Attraktionen der Kieler Woche sind. Bunt bewimpelt und mit leuchtenden Lichterketten über die Toppen geschmückt, geben sie nicht nur ein erstaunlich malerisches Bild ab, sondern ziehen auch hunderte von Interessierten zum „Open Ship“. Um die Kontraste noch zu verschärfen, liegen neben den grauen Pötten aus verschiedenen Ländern malerische Segelschulschiffe. Ein beständiges hin- und hereilen der Bordbesatzungen ist ein untrügliches Zeichen, dass es bald losgeht.

Segelschiffparade, Kiel Der häufigste Weg der Besatzungen führt in die nahe gelegenen Waschsalons - und in die Supermärkte, in denen man plastiktütenweise Zigaretten und Alkoholika ersteht. Der Grad des Ausgehungert- und Verdurstetseins misst sich deutlich an der anschließend zurückgelegten Wegstrecke: viele schaffen es nicht mehr, den Kilometer zurück zum Hafen zu gehen, sondern leeren in kleinen Grüppchen in fremden Vorgärten sitzend sofort ihre Flaschen und Chipstüten. Das hat den Vorteil, dass man umgehend Nachschub holen kann, falls die Verzehrqote dem Vorrat nicht gerecht wird.
Manchmal versucht man, den netten russischen oder polnischen Matrosen radebrechend klar zu machen, dass sie in einem Privatgarten sitzen. Erstauntes Lächeln und Flaschenschwenken; man bleibt trotzdem. Bevor die Männer nach ein paar Stunden wie ein Spuk verschwinden, nehmen sie allerdings den Müll mit. Andere Wegestrecken streifen das kleine Rotlichtviertel oder eine allseits bekannte Hamburger-Braterei. Die Gelüste, und vermutlich auch die Heuer der polnischen oder russischen Marineangehörigen,lassen größere Vergnügungen nicht zu.

Die alljährlich aufgestellten Wegweiser zum Zentrum der unvermeidlichen Budenstadt sind unzählige Alcopopflaschen, die entlang des Hindenburgufers abgestellt werden. Man heitert sich planmäßig an, bevor man sich munter ins Getümmel stürzt. Erstens ist der Weg gar so lang - insbesondere zurück, wenn nur noch vereinzelt Busse zu den Nachtquartieren fahren. Und zweitens sind die Preise gar so astronomisch. Sixpack dabei und unterwegs die Flaschen an der Uferpromenade abgestellt, lautet der unausgesprochene Verhaltenscodex der letzten zwei Jahre. Wen wundert's, dass die eine oder andere Flasche da im Dunkeln versehentlich in die Förde getreten wird? Dieses Phänomen führte im letzten Jahr dazu, dass die Stadt ein Boot mit orangegewandeten Müllwerkern ausstatten liess, die die Flaschen aus den Bootshäfen fischten - sehr zur Erheiterung der Schaulustigen. Den Bootsmotoren der Luxusyachten tat es zweifellos gut.

Weiter blättern: Kieler Woche, 2.Teil - Im Getümmel der Segelregatten


2004-06-16 Moon McNeill, Wirtschaftswetter
Text: ©Moon McNeill
Fotos: ©Sabine Neureiter

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