von Moon McNeill
In den letzten Tagen gibt die Kieler Woche erfahrungsgemäß noch einmal alles - auch bei schlechtem Wetter. Im neuen Hörnhafen wimmelt es nur so vor Traditionsseglern und nachgebauten Hansekoggen. Vor der modernen Glasfassade der neuen Bürohäuser ein gelungener Kontrast! An der Zugbrücke über die Förde sammeln sich immer wieder Menschentrauben, die begeistert das Gewusel der herein- und herausmanövrierenden Schiffe beobachten. Damit beim Warten auf das Absenken der Brücke keine Langeweile aufkommt, führen die besten Surfer im Hörnhafen ein paar Kunsttückchen vor. Wer mag, kann trockensurfen üben oder auf einer Yacht eine halbe Stunde Segelfeeling ergattern – umsonst und draußen! Kinder finden im Segelcamp täglich kostenlose Anleitung im Kuttersegeln. Kiel ist eben wirklich eine Sailing City.
Seenotrettungsübungen mit Helikoptern hat man vielleicht anderswo schon mal gesehen - falls es einem gelang, durch die Menschentrauben zu linsen und gerade dort zu sein, wo sie stattfanden. In Kiel kein Problem: die Aktion findet ganz nah am Ufer statt. Die Haare der Zuschauer flattern im Rotorwind des tief über dem Wasser stehenden Hubschraubers, leicht beunruhigt beobachtet man den simulierten Feuerrauch auf dem führerlos treibenden Segelschoner. Schaffen sie’s auch dieses Mal? Was so ein dröhnendes Himmelsgerät alles kann, das ist schon beeindruckend. In diesem Jahr konnte man erstmalig einen russischen Helikopter mit zwei gegeneinander laufenden Rotoren sehen - spektakuläre Flugaktionen gab es gratis. Es ist überhaupt einer der größten Vorzüge der Kieler Woche, dass man immer ganz nah am Geschehen ist.
Legendär ist bei den Kindern die Spiellinie auf der Krusenkoppel. Was da im Laufe einer Woche zusammengehämmert, gewebt, gemalt und geflochten wird, ist wirklich Spitzenklasse! Da schlängeln sich begehbare Riesenschlangen aus Holz über die Hügelkuppe, Lehmhäuser und Krale, Feuerdrachen und mit Lehm bestrichene Strohelefanten entstehen, Wunderwälder aus Zweigen, Flatterbändern und Tüchertunneln laden zum Erleben mit allen Sinnen ein. Kinder in schlammbespritzen Latzhosen oder gleich ganz ohne Dress springen herum, auf der Suche nach neuen Abenteuern. Auf der Krusenkoppel kann man endlich einmal all das machen, wovon man schon immer träumte - inklusive eines lustvollen Sprungs in eine Riesenpfütze mit schmatzendem Baggermatsch. Wer schon erwachsen ist, hat Pech gehabt! Gleich daneben werden in einem kleinen rauchenden Meiler Tonfiguren gebrannt und Kinder färben bunte Tücher ein. Am anderen Ende des Platzes kann man sich für einen Euro bunte Zöpfe ins Haar flechten lassen. Den Erlebnispädagogen der Krusenkoppel sollte man jedes Jahr auf’s Neue ein Denkmal setzen. So voller Phantasie und erlebbarer Märchenlust kann Fernsehen niemals sein.
Das Festival der Regenschirme fand auch dieses Jahr statt. Nur selten hat der Wettergott ein Einsehen und lässt die Sonne scheinen, wenn die Großsegler sich zur Parade formieren. Vielleicht sind es die Träume nach einer friedvollen Zeit, die berührt werden, wenn so viele Großsegler und munter mitschippernder Begleitboote die Stadt verlassen. Jeder möchte dabei gewesen sein. Merkwürdigerweise gibt es kein Lärmen, Gröhlen und Drängeln, wenn sich die Parade formiert, sondern eher gespanntes Schweigen. Auf allen Brücken, Stränden, am Ufersaum und selbst im Wasser stehen Menschentrauben. Es ist beinahe eine Art Friedensdemonstration. Mit Glück entdeckt man, dass gerade eine halbleere Fähre naht - und wenn man sie erwischt, kann man für genau zwei Euro mittendrin sein und die Parade der Großsegler hautnah erleben - indem man sie dreimal durchkreuzt. Für tolle Fotomotive kann garantiert werden. In diesem Jahr präsentierte sich die Förde in dunstigem Morgengrau mit Regenschauern - vielleicht auch deswegen stellten sich die Schiffe vor den Ufern quer und konnten endlich einmal von Nahem bewundert werden. Eine Verneigung vor dem zahlreich erschienenen Publikum, die gut ankam.
Feuerwerke sind heutzutage fast obligatorische Abschlüsse jedes Events - und dennoch ist der Himmelszauber auf der Kieler Woche von besonderem Flair. Scharen von Menschen wandern herunter ans Wasser, bewaffnet mit Schirmen und froh machenden oder wärmenden Getränken - je nach Wetterlage. Auf der Förde schippern schon Segelboote und Schoner, von denen aus man das Feuerwerk beobachten kann. Das restliche Volk versammelt sich frohgelaunt am Ufer. Es ist Tradition, dass die Musikbeschallung kurz vor dem Feuerwerk abgeschaltet wird, damit man wirklich ungestört genießen kann. Wen stört’s, dass die geplante Begleitmusik des Feuerwerks regelmäßig nicht hinhaut! Im Jahre 2002 ging durch einen Unfall sogar das halbe pyromanische Zeug vorzeitig in die Luft, ein Feuerwerker wurde schwer verletzt. Das änderte aber nichts an der Begeisterung des Publikums, das schon aus Solidarität und Mitgefühl die verbliebene halbe Show genoss. Applaus und trötende Schiffssirenen verkünden anschließend traditionell das Ende der Kieler Woche. Unmöglich, emotionell davon unberührt zu bleiben! Es ist einfach spürbare Dankbarkeit, dass wieder einmal alles gut gelungen ist.
Um Dunkeln suchen die Kieler und ihre Gäste sich den Weg nach Hause entlang des wenig beleuchteten Hindenburgufers. Auf dem Wasser begleiten einen unzählige Boote, die nur durch ihre Positionslichter den Weg in die Häfen finden. Man hört leises Gelächter über die Förde schallen, stählerne Wanten klappern im Wind, leise tuckernde Bootsmotoren driften vorbei. Busse fahren um diese Tageszeit nicht mehr in die Quartiere. Aber das macht auch nichts, denn es gibt nichts schöneres, als per Pedes nach Hause zu gehen und die Kieler Woche nochmals Revue passieren zu lassen. Auch dieses Mal hat man garantiert wieder unzählige sehenswerte Dinge verpasst. Ein Grund mehr, sich schon jetzt auf das nächste Segelfest in Kiel zu freuen.
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2004-06-27 Moon McNeill, Wirtschaftswetter
Text: ©Moon McNeill
Fotos: ©Sabine Neureiter
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