von Anne Siebertz
Neulich beim sonntäglichen Training eines namhaftes Fußball-Erstligisten. Bei traumhaftem Winterwetter findet sich eine kleine, eingeschworene Fangemeinde am Rande eines Trainingsplatzes im Stadtwald ein. Gut anderthalb Stunden bieten die „Jungs“ ein eher langweiliges Training. Warmlaufen, Muskeldehnung und Material aufstellen inklusive.
Der Trainer gibt Anweisungen, die Jungs laufen los, üben Ballwechsel, Torlaufen, Torschüsse, Spielsituationen in lockerer Folge. Insgesamt ist es überraschend leise im Umfeld des Platzes. Die Fans möchten nichts verpassen. Doch so sehr sie auch die Ohren spitzen, die Dialoge auf dem Platz dringen nicht zu ihnen durch. So bleibt nur stummes Verfolgen des Geschehens.
Viele Kinder vergnügen sich am Rande des Geschehens, kicken ein bisschen oder schauen häufig auf die Uhr. Auch ihre Eltern scheinen nicht gerade überwältigt vor Begeisterung. Den Fans nun aber Langeweile und geringe Anteilnahme unterstellen zu wollen, wäre eine grobe Fehleinschätzung. Die nicht geladenen Gäste sind aus einem ganz anderen Grund gekommen, der sich erst gegen Ende des Schauspiels offenbart. Unterschwellig, kaum spürbar, sind ihre Nerven dennoch bis zum Zerreißen angespannt.
Denn kaum nähert sich die Veranstaltung ihrem Ende, stürzen sie – zumeist die jüngeren unter ihnen – wie auf Kommando zum Ausgangstor auf dem Rasen. Nun gilt es in die erste Reihe zu kommen. Gut gerüstet sind sie mit Block, Fan-Zeitschrift, Mappen oder T-Shirts und entsprechendem Textilstift. Doch die Vorstellung, es handele sich um sogenannte Autogrammjäger, bewahrheitet sich nicht im klassischen Sinne. Jäger sind sie schon, dennoch entbehren die Spielregeln des Beutefangs jeglicher Hysterie.
Sobald sich das Tor öffnet, reichen sie ihre Utensilien – meist ein Blatt auf fester Unterlage und Filzstift – wortlos ihrem Star entgegen. Der kritzelt ebenso wortlos etwas Unlesbares darauf, ein paar Bögen, Haken und lange Linien. Das kann alles heißen: den Namen, ein Schimpfwort oder auch gar nichts. Egal, Hauptsache, er hat gekritzelt. Und schon hält ihm der nächste ein T-Shirt unter die Nase. Der Star schreibt sich durch die Menge, sechs, sieben Häkchen und Bögen hier und dort, dann ist er durch. Hinter ihm der nächste. Namen und Grad der Berühmtheit sind egal. Auch er wendet sich ein paar Mal nach rechts und links, schwingt den hingehaltenen Stift und nimmt Reißaus. Wortlos!!
Kein „Danke“, kein „darf ich ein Autogramm?“, kein „hallo, ich bin der Kevin“, NICHTS. Stumm spielt sich die Jagd ab, Ehrfurcht auf der einen Seite, Pflichtübung auf der anderen. Kommunikation findet nicht statt. Ein weiblicher Fan, etwa dreizehn Jahre alt, ist besonders routiniert. Mit der rechten Hand hält sie den Block mit Stift hin, derweil reißt sie mit der linken in Sekundenschnelle eine Kompaktkamera hoch. Klick, fertig. Lächeln oder ein Blick in die Kamera nicht erforderlich, dafür reicht die Zeit nicht. ‚Besser ein (garantiert) schlechtes Foto als gar keins’ ist die Devise.
Gut eine Viertelstunde dauert die stumme Szenerie, dann sind die Stars plötzlich weg. Erst jetzt wird gesprochen, Erleichterung macht sich breit. Man zeigt sich gegenseitig die Beute: „Guck mal, ich hab’ den“, „Echt cool!“ Ein kleiner Junge freut sich: „Mama hat den drauf, wie er so schreibt, boh, cool!“ Manche tragen die bekritzelten T-Shirts stolz zur Schau, andere strahlen. Die Jagd war wieder mal erfolgreich. Ein paar bekritzelte Blätter oder T-Shirts werden stolz als Trophäen nach Hause getragen – Schätze von unglaublichem Wert. - Fan müsste man sein!
2006-01-01 by Anne Siebertz, Wirtschaftswetter
Text: ©Anne Siebertz
Fotos: ©Anne Siebertz
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Die Fotos sind von Anne Siebertz und stammen aus dem Projekt "Gestalten statt Zerstören" des Jugendzentrums Glashütte in Köln Porz, über das Projekt berichtete sie in einer früheren Wirtschaftswetter-Ausgabe: Gestalten statt zerstören - Ein Klo kommt zu Ansehen
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