von Angelika Petrich-Hornetz
Vor kurzem sorgte eine kleine, israelische Studie für ein großes Medienecho. Es ging dabei um Mütter, die es bereuten, Kinder bekommen zu haben.
Ich kann Frauen sehr gut verstehen, die keineswegs von ihren Kindern, sondern ausdrücklich von ihrer, besser gesagt, von der für sie von der Gesellschaft aufgezwungenen Mutterrolle im Jahr 2015 inzwischen genug haben. Ich gehe sogar so weit, anlässlich des Muttertags jeder jungen Frau derzeit ganz dringend davon abzuraten, in diese Welt und auch in dieses Land noch Kinder zu setzen, bevor sich die Rahmenbedingungen für Mütter und Kinder nicht beträchtlich geändert haben.
Sicher, es ist einfach aus einer Warte heraus so zu reden, in der die Kinder schon groß sind und man dieses nicht zu unterschätzende Glück bereits hatte, überhaupt ein Kind bekommen zu haben. Ein "Gebärstreik im Nachhinein" macht an sich auch wenig Sinn. Die Kinder sind aber auch nicht das Problem, sondern eine immer kinderfeindlicher werdende Umwelt - und zu dieser gehört eben nicht nur dieses oder jenes finstere Detail, sondern alles auf den Tisch gelegt. Man muss für diese Erkenntnis nicht erst die aktuell herausgegebenen Listen der Organisation "Save The Children" studieren, in welchen Regionen und Ländern auf der Welt Mütter und Kinder überhaupt noch reelle Chancen haben. Es reicht schon die Zeitung aufzuschlagen.
Selbst ohne jeglichen Medienkonsum werden Mütter durch den ganz schlichten, durchökonomisierten Alltag langsam, aber sicher ruiniert, der immer mehr in eine Art Hochverfügbarkeit für alles und jeden und einem nicht enden wollenden Dauergehetze zwischen Kindern und Arbeit ausartet. Und das tun die Mütter - und das muss man sich erst einmal vor Augen führen - mit dem für sie selbst am Ende äußerst zweifelhaft ausfallendem Ergebnis, die Steuerzahler und Sozialversicherungspflichtigen der nächsten Genteration "umsonst und draußen" großgezogen und damit nichts Geringeres getan zu haben, als u.a. den ganzen Sozialstaat auch in der Zukunft am Laufen zu halten. Das hat ein auffälliges Geschmäckle: Die Gewinne wurden vergemeinschaftet, die Kosten dafür indes geschlechtsdiskriminierend privatisiert.
Altersverarmte Eltern, darunter auffallend viele Mehrfach-Mütter, die sich ihre eigene Pflege am Ende eines arbeitsreichen Lebens nicht mehr leisten können, müssen in Deutschland zuvorderst von ihren eigenen Kindern unterstützt werden. Währenddessen sind alle anderen fein raus und profitieren auch noch von diesen Kindern, die neben (!) der Versorgung ihrer eigenen Eltern auch noch die gesamten Sozial- und Steuerkassen für alle anderen füllen dürfen, die sich eben nicht in einem ähnlich teuren Maß an den exorbitanten Kosten für die sie versorgenden Kinder beteiligt haben müssen.
Und dann diese Anspruchshaltung, mit der Mütter dauernd traktiert werden: Es sei ja gar nicht gesagt, dass dieses oder jenes Kind eines Tages als erwachsener Mensch überhaupt Steuern und Sozialabgaben entrichten würde. Also erübrige sich damit auch jede weitere Beteiligung an irgendwelchen Kinder-Kosten. Und das aus dem Mund von Kinderlosen, Rentnern, Minijobbern, reichen Erben und dergleichen. Es klingt so, als ob sie "für das Kindergeld" einen Anspruch erworben hätten, ähnlich dem mancher Hundebesitzer, die meinen, für ihre Hundesteuern sollten die Kommunen Ein-Euro-Jobber einstellen, damit diese gefälligst den Hundekot anderer Leute von der Straße kratzten.
Das älteste Kind könnte inzwischen lediglich mit seinen Steuer- und Sozialbeiträgen ein bis zwei komplette Haushalte zusätzlich durchfüttern. Und das obwohl (oder gerade weil?) es noch die Vormittagsschule besucht hatte - ein interessanter Fakt, der einfach nicht so recht in das Lammento der eifrigen Kinder-Ganztags-Förderer und -Forderer passen will.
Es hat damit das Kindergeld längst wieder wettgemacht. Dass der Gewinn durch Kinder für die kinderlose Gesellschaft großzügig ausfällt, aber für die Mütter immer noch ein Armutsrisiko darstellt, weil das aufwendige Großziehen nachweislich für weniger eigene Rentenbeiträge und damit auch Rentenerträge sorgen kann sowie, dass es dank sinkendem Rentenniveau inzwischen ganze Berufsgruppen gibt, die sich gar keine eigenen Kinder mehr leisten können, wenn sie die Altersarmut nicht riskieren wollen, dürfte inzwischen bei jedem angekommen sein.
Nur noch ein durchgehend berufstätiges, gut bezahltes Leben führt demnach zu einem auskömmlichen Alterseinkommen, und zwar zum größten Teil immer noch auf Kosten der Kinder anderer Leute. Der Ruhestand dauert heute nicht selten dreißig Jahre lang, und braucht damit inzwischen mehr Zeit, Geld und andere Ressourcen, als ein Kind bis in den Beruf großzuziehen. Keine Regierung in Deutschland hat bisher etwas an diesem Ungleichgewicht der Lastenverteilung geändert, weil es ein ganz heißes Eisen ist, überhaupt zuzugeben, dass die Familienpolitik damit als solche damit bereits gescheitert ist.
Überhaupt, das Kindergeld. Hören sich eigentlich alle Mütter zwanzig Jahre pro Kind an, sie sollten sich nicht beschweren, sie bekämen "dafür" doch Kindergeld?. Dass es sich um eine Rückzahlung zuviel gezahlter Steuern handelt, nur um das Existenzminimum - neben allem anderen - nicht auch noch anzugreifen, verstehen ausgerechnet in unserem ökonomisierten Staat immer noch erstaunlich wenige Menschen.
Dass die Mutterrolle auch in Deutschland inzwischen kein Standing mehr hat, daran muss man sich nach einer Geburt, insbesondere nach dem Milleniumswechsel, erst einmal gewöhnen: Ich bin jedenfalls in meiner ganzen Berufs- und Erwerbstätigkeit noch nie so oft und so dermaßen aggressiv beleidigt worden, wie in der Rolle als Mutter. Gerade Frauen, die glauben, die Emanzipation der Geschlechter sei angeblich abgeschlossen, seien besonders davor gewarnt, Mutter zu werden, weil man mit dieser Einstellung nicht selten erst mit einem Kind erfährt, wie frauenfeindlich die Gesellschaft in Wahrheit immer noch ist und wie frauenfeindlich sich auch die unmittelbare Umwelt zeigen kann. Feindlich im Sinne von "Überlegen" reagiert man in Deutschland inzwischen besonders gern, wenn jemand auf etwas Unterstützung durch seine Umwelt angewiesen ist. Das ist bei körperlich gesunden Frauen vorwiegend erst als Mutter der Fall. Ohne Kinder kommen Frauen allein sehr gut, und inbesondere in Deutschland eindeutig besser zurecht: Sie bieten einfach weniger Angriffsfläche, und schon dadurch leben sie sicherer - und werden in Ruhe gelassen. Sie haben außerdem mehr Zeit und Geld sowie - nicht zu vergessen -, reellere Chancen auf ein auskömmliches Einkommen, und zwar durchgehend bis zum Ende ihres Lebens.
Darin eingerechnet sind noch nicht die zahlreichen Gefahren, denen Kinder ständig ausgesetzt sind, und zwar mit deutlich steigender Tendenz, die nicht alle, aber zu einem großen Teil durchaus fehlgesteuerter Politik anzulasten sind. Es gibt alte Gefahren - und es kommen immer neue dazu. Im Zuge der steigenden Ökonomisierung gesellschaftlicher Prozesse wird auch das Leben von Kindern immer mehr einem Zwang zur reinen Funktionsfähigkeit unterworfen. In den Industrienationen sind Kinder zu einem Riesengeschäft geworden, für diverse Märkte, u.a. als Kunden und "Produkte" für die Konsumgüterindustrie, die Bildungsindustrie, die Pharmaindustrie, den Betreuungsmarkt, den Therapiemarkt und diverse weitere auf Kinder spezialiserte Dienstleistungsmärkte sowie als Kunden und "Produkte" für den Schwarzmarkt. Die Sicherheit von Kindern ist in einer Welt voller Märkte, die stets irgendeinen Nutzen in Kindern sehen und alles daran setzen, diesen auch zu erhalten, latent gefährdet. So wird auch das zu einem Thema, um das sich Eltern inzwischen wieder verstärkt allein kümmern müssen, weil die Sicherheit von Kindern von einer immer mehr kinderentwöhnten und marktorientierten Umwelt einfach nicht mehr gewährleistet werden kann. Und man kennt es ja: Taucht irgendein schwer zu lösendes Problem mit Kindern auf, wird zuerst immer nach den Eltern gerufen, die sollten dies und das und jenes tun und unterlassen. Nur wann, wenn sie gleichzeitig den ganzen Tag lang arbeiten?
Einigermaßen sicher sind Kinder auch in Deutschland inzwischen erst dann, wenn sie groß sind. Das ist in Friedenszeiten wirklich genauso erstaunlich wie es gruselig ist. Auch der Staat fällt als schützende Institution, die ursprünglich einmal ein besonders wohlwollendes Auge auf Kinder, Familien und damit auch auf Mütter werfen sollte, immer öfter aus, sondern avanciert immer mehr zum Überwachungs- und Restriktionsapparat*, der zunehmend ungefragt in das Privatleben von Eltern und Kindern eindringt und dahingehend durchleuchtet, die Klientel in die von ihm selbst sowie von den Märkten, s.o., gewünschten Lebensformen zu drängen. Selbst Bildung wird immer marktgefärbter, und findet nicht mehr um der Bildung willen statt, sondern, um marktkonforme Lebensläufe zu betonieren, die gegenwärtig aktuell sind - eine mittel- und langfristig fortschrittsblinde, und damit auch für die Wirtschaft als solche brandgefährliche Entwicklung.
Damit fällt auch die Schutzfunktion des Staates für seine bislang vielfältige Kinderschaft zunehmend aus, ein Ausfall, der es für Mütter schlicht noch anstrengender macht, ihre Kinder heil durch eine Kindheit zu bringen, die von den verschiedensten Interessensgruppen und Lobbyistengruppen regelrecht belagert und verfolgt werden, denen nicht in allen, aber in vielen Fällen das Wohl von Kindern eigentlich herzlich egal ist.
Junge Frauen um die zwanzig können sich jetzt noch ganz ruhig zurücklehnen, sie haben noch viel Zeit. Dreißigjährige denken verstärkt über "Social Freezing" nach, ein Begriff, der vor dem hier geschilderten Hintergrund eine ganz andere Bedeutung bekommt: Wenn die aktuelle Phase der sozialen Eiszeit eines Tages vorbei sein sollte, wenn junge Mütter wieder zu respektierten Mitgliedern der Gesellschaft und damit eben nicht mehr in viel zu vielen Fällen zwangsläufig zum Sozialfall (spätestens im Alter) werden, kann man sich ja immer noch ein Ei einpflanzen lassen.
Wozu bis dahin noch Kinder in die Welt setzen, wenn es keine Hoffnung auf eine fröhliche und freie Kindheit und auf ein selbstbestimmtes Leben als Mutter (und Vater) mehr gibt, weil Politik und Wirtschaft vierlorts selbstbewusste Kinder und Mütter sowie eigenständig denkende Staatsbürger inzwischen für vollkommen überflüssig halten?
Da hat man ja schon als Einzelner genug zu tun, um solch eine "Existenz" noch einigermaßen ertragen zu können. Vielleicht sollten Gesellschaften, die mit lebensechten Kindern und Menschen schon lange nichts mehr anfangen können, besser Forschungsgelder in eine künstliche Gebärmutter investieren, in der die aktuell gewünschten, leicht lenkbaren Unterntanen mit enstprechend unterwürfigen Genen endlich gezüchtet werden können - oder schrauben sich einen Roboter zusammen, der die Altersversorgung für sie erwirtschaftet. In dem Fall sollten die Entwickler diesen aber tunlichst nicht mit KI ausstatten, die könnte sonst schneller als heutige Kinder darauf kommen, dass sie von ihrer zahlreiche Ansprüche anmeldenden Umwelt lediglich ausgenutzt und veräppelt wird.
2015-05-09, Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
Illustrationen: ©aph
Foto + Foto-Banner: ©ap
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