von Angelika Petrich-Hornetz
Ganz neu und alt im Showroom
Mit einer Mobilgeräte-freundlicheren Darstellung von Webseiten beschäftigt sich auch das Wirtschaftswetter und versucht, sein Bestes zu geben. Aber wie viele andere auch, die zumindest zum Arbeiten noch einen großen Bildschirm verwenden, wundern wir uns manchmal über die eigenen und anderen angestrengten „Optimierungsergebnisse“.
Überall tauchen auf einmal Großbuchstaben auf, die auf kleinen Bidschirmen richtig toll aussehen. Auf dem Desktop springen sie dem Betrachter erst ins Gesicht und bringen ihn oder sie dann fast aus dem Gleichgewicht. Retro der 1980er bis 1990er Jahre scheint ebenfalls wieder angesagt zu sein, in knalligen Farben und harten Konturen, die Zeit der zarten Töne und immer künstlerischer wirkenden Seiten scheint erst einmal Geschichte zu sein. Und wenn der Grundton pastelllig ist, dann möglichst etwas Dramatisches, besonders Aufälliges - in dicken Linien, draufgesetzt. Der aktuelle User ist heutzutage weniger eigenwillig, er will angeleitet und geführt werden - möglichst schnell zum passenden Produkt ...
Die Vorgabe ist der kleine Bildschirm, allerdings soll es weltweit rund 30.000 unterschiedliche Formate geben. Und ausgerechnet für diese Vielfalt sind die Möglichkeiten beschränkt, schließlich muss das Unmögliche geschaffen werden, allen zu gefallen.
Das Einfache gewinnt folglich. Es muss jedoch wesentlich und gut sichtbar und sofort auffindbar sein. Versteckspiele sind nicht erwünscht. Alles Komplizierte, Gebrochene, Unfertige, Extreme und Experimentelle verliert*. Es geht also wieder einmal um Wirtschaftlichkeit, um die Wurst auf dem Markt der Auffälligkeiten und Aufmerksamkeit, um die zuletzt im vorherigen Jahrhundert schwer gekämpft wurde. Zurückhaltendes Design, fließende Übergänge, Ausladendes, Puristisches, zusätzliche Informationen für Experten oder Liebhaber, Unterhaltsames, Anekdötchen, Nebenschauplätze, Ansichten, die sich erst für den Betrachter zusammenfügen - oder Dinge die aus dem Hintergrund (nach-)wirken, haben in dem Diktat der Formate wenig Chancen, dass ihre Kreativität überhaupt noch wahrgennommen wird. Künsterlisch wird es damit langsam schwierig. Als Schwarz-Weiß Purist und eh als Kontrast-Liehaber hat man noch Chancen. Ansonsten geben sich Web-Sites, ähnlich wie die Fitness-Bewegung, heutzutage schlank bis mager, natürlich immer gut gelaunt und positivistisch - dazu plakativ bunt eingefärbt. Damit wird die Website als ein Transporteur wirklich wichtiger Informationen zumindest in Frage gestellt.
Auch das bewusste Eintreten, Besuchen und Begehen in und auf eine Webseite, z.B. in eine virtuelle Kunst-Galerie, wird mit all den Mini-Bildschirmen schwieriger bei Kunst, deren Wirkung - inbesondere, wenn sie selbst großformatig daherkommt - sich vor allem auf großen Bildschirmen erst richtig entfalten kann. Wer weiß, es gibt einerseits schon einen Gegentrend, der das Internet entschleunigen will und vielleicht wird der Nutzer eines Tages doch wieder eigens die Geräte wechseln, weil ein Internetangebot womöglich noch für den ganz großen (TV)-Bildschirm produziert wurde, wobei Letzterer dann auch den augenintensiven, virtuellen Galeriebesuch mit all seinen Finessen ermöglichte, vielleicht sogar mit Datenbrille. Der kleine fungiert dann für Eingang und Kasse, eine Aussicht, auf neue Bezahlangebote.
Hoch und runter – und möglichst allein zum Chillen in den Kindergarten
Anstelle von hin und her, geht es auf kleinen Bildschirmen rauf und runter. Anstatt den Blick horizontal schweifen zu lassen, schielen die Augen in einem immer etwas nach innen gedrehten, angstrengenden Winkel fokussiert auf ein kleines Rechteck. Da macht möglichtst Buntes Sinn und alles , was sofort ins Auge springt, um überhaupt noch etwas zu erkennen. Bei der smartphone-kompatiblen Gesichtsoptimierung müssten die Augen wahrscheinlich untereinander angeordnet werden - oder man verzichtete auf eines.
Zu zweit vor einem Bildschirm zu arbeiten, zu chillen oder irgendetwas Interessants in bequemer Haltung, bei nettem Gespräch, zwei Kaffeetassen dazu - ist nur vor großen Formaten möglich, also heute so gut wie unmöglich: Jeder für sich.
Einige der für sämtliche Bildschirme optimierten Web-Seiten, die gestern noch mit viel Text und schöner Gestaltung zum Verweilen einluden, schauen einen Tag nach ihrer Optimierung dann ähnlich übersichtlich wie das moderne Angebot einer Kindertagesbetreuung aus: Es werden wenig Text, ein paar Bilder und knappe Infos dargeboten - und die Öffnungszeiten. Das war's. Dafür ist jetzt alles ganz leicht auffindbar, wirkt hell, schön, seicht und gut. Aber es ist auch nichts vorhanden, das verfängt, bloß nichts, an dem man hängenbleiben, über das man stolpern oder sich gar aufregen könnte. Keine Ecken, keine Kanten. Das ganze Web als widerspruchslose Verkaufs-Präsentation, Anzeigenblatt, Onlineshop und Finger-Fastfoodkette?
Texte werden jetzt für Maschinen geschrieben. Es gab schon immer Website-Betreiber, die schon immer Wert darauf legten, nicht nur für ihre Leser und Besucher zu schreiben, sondern Texte nach der Erstellung noch einmal für die Suchmaschinen zu optimieren, um im großen weiten Internet überhaupt noch entdeckt zu werden. Mittlerweile aber könnte man fast schon den Eindruck gewinnen, die Tätigkeit des Schreibens habe sich komplett umgekehrt, nicht mehr Mensch, sondern Maschine first. Und natürlich verändert so etwas nicht nur Formulierungen, sondern auch Inhalte und Bedeutungen.
Schöne neue Welt. Da sehnt man sich fast schon nach den die kapriziösen Web-Werken vergangener Design-Ergüsse zurück.
Webseitenbetreiber – die ersten Diener ihres Onlinestaates
Können Sie sich noch an die herablassenden Hinweise früherer Zeiten erinnern, die sich Webseiten-Betreiber in hochherrschaftlicher Attitüde über ihren Webspace herausnehmen konnten, als das gemeine Online-Volk noch darüber unterrichtet wurde, dass es seinen Bildschirm gefälligst auf diese oder jene Größe einzustellen hätte?
Schließlich sei das eigene Web-Schloss etwas ganz Edles und so exklusiv wie mühevoll so eingestellt worden. Also war der User ständig damit beschäftigt, umzustellen, um die hehren künstlerischen Absichten überhaupt sehen -und anschließend auch gebührend würdigen zu können.
Auch diese Zeiten sind vorbei, aus dem Anbieter-Markt der Aufmerksamkeit ist ein Käufermarkt geworden. Die einst virtuellen Schlossherren sitzen jetzt in den Gewölbekellern und denken mit qualmenden Köpfen darüber nach, wie sie den Usern sämtlicher Gerätschaften - demnächst kommen noch viel mehr dazu - regelmäßig den roten Teppich für ihr einstiges Prachtstück ausrollen könnten. Und mit den neuen Verkehrsregeln bleibt nicht jedes alte Prachstück auch in Gänze erhalten.
Hübsche Textformationen zum Beispiel, in für den geübten Vielleser, ansehnliche kleine Abschnitte dicht gepackt, Extra-Text-Kästchen, Einheiten mit Zusatzinformationen – wegrationalisiert. Sie sind viel zu klein und zu eng für den auf einem kleinen Display mit großen Fingern herumirrenden Smartphone-Nutzer. Dabei gibt es Eingabestifte (Stylus, Touchpen) in allen Formen und Farben - und für jede Oberfläche. Die sind nicht nur für den Nutzer sauberer, auch das Display verklebt nicht wie durch die ständige Fummelei. Und es ist ein echtes Retro-Gerät, der gute alte Griffel wurde schon in der Antike zum Schreiben auf Wachstafeln benutzt.
Die meisten bleiben beim Fingerfood. Also müssen am besten auch sämtliche Verweise mindestens fingerbreit auseinandergerissen werden. Und während der mobile Nutzer selbstverständlich hoch- und runterfingert, scrollt sich der antike Desktop-Nutzer um den eigenen Verstand. Ja,, auch Scrollen ist dank wachsender Mobilittät auf einmal wieder da – und nicht wie früher im höchsten Maße verpönt, so schnell ändern sich die Dinge. Grundsätzlich hat man die Breite in die Länge umgetauscht, da die bequemer in der Hand liegt.
Wem die moderen Aufbereitung des Web-Contents inzwischen etwas zu angepasst, glatt gebügelt und einheitlich vorkommen mag, ist damit nicht ganz allelin: Auf Brutalistwebsites.com toben sich Andersdenkende unter der aufmerksamen Teilnahme eines wachsenden Publikums genüsslich gegen jeden Trend in ihren einmaligen Designs aus. In kurzen Interviews erfahren die Leser etwas über die Motivation zu den originellen Auftritten.
Wiedersehen macht Freude?
Ein lustiges Ergebnis gegenwärtiger Optimierungsbemühgungen muss unbedingt noch erwähnt werden. Auf allen möglichen Seiten taucht jetzt ein uraltes Web-Relikt wieder auf, und zwar wirklich genauso lebendig und ansehnlich, wie es uns einst verlassen hatte: der Button.
Auch der löst jetzt die einst immer kleiner werdenden Schriften und einst vornehm zurückhaltenden Verweise in reiner Textform und in den schönsten Lettern ab und macht damit genau das, womit er vor etwa zwanzig bis dreißig Jahren aufgehört hatte: sich frech in den Vordergrund drängeln, dabei mal mehr, mal weniger knubbelig (abgerundete Ecken!), grobschlächtig, spartanisch oder auch nur blöd anszuehen, und gemäß seiner Tradition in stets gewöhnungsbedürftiger Farbgebung – oder in Mausgrau, darauf - „ratsch“ - eine blutrote Beschriftung. Ein solcher Knopf kann so eindeutig sein, dasss selbst Außerirdische ihn nicht übersehen könnten - und immer den richtigen drückten.
Auf einem großen, bekannten Portal war kürzlich tatsächlich ein solches Exemplar in Mausgrau und mit roter Schrift zu finden. Außerdem war der Button ungewöhnlich breit und in 3D. Das machte ihn sofort verdächtig. Denn so etwas fand man ausschließlich in den 1980er bis 1990er Jahren todschick.
Wahrscheinlich wurden die zur mobilen Optimierung in den Schlosskatakomben Angekettenen scharf angewiesen, gefälligst Buttons zu liefern. Die Button-Designer waren aber plötzlich alle ausgebucht, der Markt leergefegt - und so mussten die Ärmsten sogar in die Verließe des vergangenen Jahrhunderts kriechen. Siehe da, sie wurden fündig und förderten einige von den Jahrzehnte lang vor sich hin verstaubenden, alten Knöpfen ans Tageslicht der gegenwärtigen Webwirklichkeit. In der Ermangelung von anderen, neuen, moderneren Buttons, wurde dann das mausgraue Ungetüm mit knallroter Schrift einfach auf die Webseite gesetzt. Da sitzt es nun und versieht seine Dienst so, als wäre es niemals weg gewesen.
Das brachte uns auf die abenteuerliche Idee, es selbst einmal in der verstaubten Vergangenheit zu versuchen und unsere eigenen Festplattenverließe nach alten Buttons zu durchforsten. Und siehe da! Auch wir würden fündig! Die Ergebnisse sehen Sie hier, wir schwanken noch zwischen Wiedersehensfreude und Entsetzen.
Sagen Sie, haben Sie etwa auch noch ein paar alte Buttons auf ihrer Festplatte herumliegen?
2016-07-01, Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
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