von Angelika Petrich-Hornetz
Während der Aktuelle sich eher behäbig aus und in seinen Flieger bewegt, nahm der ehemalige US-Präsident Barack Obama die Treppe zur Airforce One stets im Laufschritt. Und so manch ein Staatsgast kam bei dem sportlichen Tempo des immerhin in seiner zweiten Amtszeit auch schon über Fünfzigjährigen wortwörtlich kaum noch hinterher. Dabei hatte es Obama gewiss nicht nötig, ständig zu rennen, so schlank präsentierte sich schließlich bisher kaum ein US-Präsident. Nicht nur am höchsten Amt der Vereinigten Staaten kann man beobachten, dass einige Menschen schlicht aus Mangel an Gelegenheit - abnehmen. Anderen vergeht dagegen schlicht nur der Appetit.
Von einem Geheimtipp kann wohl kaum eine Rede sein und gesund ist es auch nicht, wenn man vor lauter Zeitmangel kaum noch zum Essen kommt. Und nicht immer funktioniert es dann mit der ungewollten Gewichtsabnahme: Wer stundenlang nichts essen kann, weil er vor lauter Arbeit einfach nicht dazu kommt, der schlägt gewöhnlich gern am Feierabend zu. Der durch die temporären Hungerphasen auf Vorrats-Anlegerei gepolte Körper zahlt es einem gleich heim, dass am nächsten Tag wieder die Essens-Abstinenz droht und legt besonders nachhaltige Fettpölsterchen an. Man weiß ja nie, ob dieses dauernd arbeitende Wechsel-Fress-Hunger-Tier "Mensch" nicht am nächsten Tag auf die Idee käme, zwölf Stunden lang durch eine Wüste - ohne jede Nahrung - zu marschieren. Die auf Lebenserhaltung programmierte Natur legt deshalb vorsorglich für ihre unvernünftigen Kinder Vorräte an - bei ihnen selbst.
Wer kennt das nicht? Den ganzen Tag gearbeitet, das Frühstück fiel gleich ganz aus, das Mittagessen stark eingeschränkt - exakt nach einem halben Brot, mehr heruntergeschlungen als gekaut, stand die nächste Runde Akkordarbeit an. Die Besonnenen zwingen sich dann wenigstens zum Trinken, wobei sich in vielen Unternehmen schlichtes H2O immer mehr durchsetzt und dessen Kaloriengehalt ist gleich null. Immerhin, so bleibt der Kreislauf einigermaßen intakt - während die Pfunde purzeln und purzeln. So manch einer betreibt mit solchen, alltäglich zelebrierten Wenig-Ess-Phasen oder Hungerkuren, ohne es zu wollen, das berühmte Intervall-Fasten, in all seinen unterschiedlichen Versionen. Dabei werden lange Phasen mit mehreren Stunden ohne jede Nahrungsaufnahme eingelegt und vor allem Kohlehydrate gemieden. Früher war das einfacher: Man aß dreimal täglich, morgens, mittags, abends - und dazwischen einfach nichts. Insofern ist das Intervall-Fasten auch keine besonders neue Erfindung
Nach der Arbeit agiert die Republik fast schon zweigeteilt. Die einen haben endlich die Gelegenheit, den mit Sicherheit wohlverdienten Feierabend zu genießen. In den älteren Generationen endet das gern auch mal vor dem berühmten Fernsehgerät mit allen kulinarischen Tücken, insbesondere der Knabberabend im unmittelbaren Anschluss an das Abendessen sorgt für übermäßige Kalorienzufur. Und siehe oben, Mutter Natur rüstet derweil schon für den nächsten nahrungsfreien Arbeitstag - und legt an solchen Abenden sorgfältigst so viele Pölsterchen an, wie sie nur kann.
Die anderen kommen nach Hause und schuften ohne Pause einfach weiter - ob im Garten, am Haus, am Menschen oder bei sonstigen anstrengenden "Freizeitbeschäftigungen". Zu denen zählen im Übrigen auch Kinder. Und so sind es nicht selten junge Mütter, deren schlanke Figur oberflächlich betrachtet, einen guten Eindruck macht, andererseits auch nicht anderes als das Ergebnis einer fortgesetzten Stress-Diät ist. Als Erstes werden auf dem Rückweg von der Arbeit die Kinder wieder eingesammelt, die man morgens auf Weg zur Arbeit sämtlich in Kitas und Schulen verteilt hatte. Mit ihnen im Schlepptau wird dann eingekauft. Zu Hause muss sofort die erste (!) Waschmaschine angeworfen werden, deren Waschergebnisse bis spät am Abend auch noch jeweils auf- und abgehängt werden wollen - und am Ende des Tages sieht man diese Mütter dann die Küche aufräumen, bevor sie halbtot ins Bett fallen. Wer so einen Turnus hat, der kann sich noch so viel Schokolade hineinstopfen wie er bzw. sie möchte und rennt am nächsten Tag wieder als Gazelle durch Betrieb und Privatleben. Die Frauen in der ehemaligen DDR nannten die Aufgaben, die sie zu Hause nach Arbeitsschluss erwarteten, erfrischend direkt beim Namen: "die zweite Schicht".
Und jetzt die letzte Variante der unfreiwilligen Gewichstabnahme, womit sich der Kreis schließt. Vielleicht hat er auch aus Mangel an Gelegenheit, gepaart mit sehr viel Beweglichkeit seine Figur bewahrt, der ehemalige US-Präsident, doch ein Faktor wird auch eine Rolle gespielt haben, den viele kennen Es kann einem auch schon mal komplett der Appetit vergehen, wenn man sich mit bestimmten Themen befassen muss. Nicht nur Ärzten vergeht die Lust aufs Essen, auch alle anderen Menschen dürften hier und da Phasen, sowohl im Beruf als auch im Privatem, erlebt haben, in denen ans Essen nicht aus Zeitmangel, sondern aus schwerwiegenden, quasi auf dem Magen liegenden Gründen nicht einmal zu denken war. Wer nur noch schleppend den halben Teller schafft, der auch noch nach nichts schmeckt und der sonst nie ein Problem war, weil ihm vor lauter aktueller Problemlösungsbearbeitung einfach nicht mehr nach Leckerem ist, ist mitten drin, in der schlimmsten Art der Stress-Diät, die, wenn sie länger anhält, auch gern mit Schlafmangel gepaart, zügig zu Lasten der Gesundheit gehen kann.
Doch wie beim Wetter bleibt nichts wie es war und folgt auf Regen bekanntlich Sonnenschein. Gerade rechtzeitig, bevor es gefährlich wird, ist das Problem irgendwann gelöst, der Zeitmangel nicht mehr ganz so dramatisch, die Kinder groß, das Auto repariert, die kaputten Haushaltsgeräte ausgetauscht, das Haus gebaut, die Wohnung renoviert, die Krankheit besiegt, der Tod eines lieben Angehörigen so verwunden, dass man sich nur noch an die schönen Zeiten erinnert - und es läuft schließlich eines schönen Tages einfach wieder rund.
Wie wäre es, sich nach solch einem Stress-Marathon dann einmal ganz bewusst an den Tisch zu setzen und wenigstens ein paar leckere Häppchen zu schmausen, im Sinne von Qualität geht vor Quantität? Wahrscheinlich ist das auch das einzige Geheimnis der immer schlanken Französinnen, das die Managerin Mireille Guiliano* einst in ihrem Buch beschrieb. Wenn sie arbeiten, arbeiten sie und essen vielleicht ein paar Stunden wirklich nichts, und wenn sie genießen, genießen sie. Sie fressen einfach nicht, trotz oder gerade wegen all dem Stress, den das Leben so mit sich bringt.
*Archiv: Von Paris bis Tokio - Auf dem Weg zur schlanken Taille von Astrid Wehling
2017-07-01, Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
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