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Wirtschaftswetter-Mann des Jahres 2018

von Angelika Petrich-Hornetz

Seit 2013 erlaubt sich die vierteljährlich erscheinende Onlinezeitschrift "Wirtschaftswetter" die undotierte Auszeichnung 'Wirtschaftswetter-Mann des Jahres' zu vergeben. Damit wird einmal im Jahr ein Mann ausgezeichnet, der Mut und Klasse bewiesen hat, indem er sich einer herausragenden, unbezahlbaren (Lebens-)Leistung im Sinne von Freiheit und Demokratie rühmen kann, die zudem mit dem Fortschritt der Menschheit verbunden ist.

Im Jahr 2013 kürten wir deshalb den darum verdienten Edward Snowden zum ersten Wirtschaftswetter-Mann. Im bewegten Jahr 2018 fällt die Wahl auf vier Vertreter ihres Geschlechts, ehrenvolle Angehörige der jüngeren Generation, die sich zurecht aus Sorge um die Zukunft engagierten und damit gleichwohl mutig um diese kämpften. Sie warteten alle drei mit ganz neuen Erkenntnissen und Wahrheiten auf, vor denen ihre Vorgänger-Generationen bisher die Augen verschlossen, vieles ahnten, aber nicht oder viel zu wenig unternahmen. Mit den Beiträgen der Wirtschaftswetter-Männer 2018 wurde nichts Geringeres als die Wirklichkeit um wichtige, erkenntnisreiche und zukunftsweisende Fakten ergänzt, die so mancher Zeitgenosse allzugern unter den Teppich gekehrt hätte. Die folgenden Männer haben das zu verhindern gewusst, und mussten dazu Schranken und liebgewonnene Gewohnheiten einreißen. Sie riskierten durch ihr Tun ihre Arbeitsplätze, ihren Ruf, sie setzten Einkommen, Freundschaften und gute Verbindungen aufs Spiel, weil sie eines taten: einen richtig guten Job.

Ronan Farrow, amerikanischer Jurist und Journalist

Bis die im Oktober 2017 gestartete #metoo-Debatte in Europa ankam, dauerte es eine Weile. Zügig wurden auch wieder die üblichen Klischees bedient und dank sozialer Netzwerke weltweit verbreitet, von denen sich erstaunlich viele lange hielten, so auch das, es wären "die Frauen", bestensfalls "gut bezahlte Jung-Schauspielerinnen " oder "amerikanische Frauen" gewesen, die angeblich den Hals nicht vollkriegten und nur deshalb eine Kampagne gegen "die Männer", allesamt mächtig und ehrenwert, führten.
Und so dauerte es noch eine ganze Weile, bis auch mit diesem Mythos augeräumt wurde und ans Licht der Weltöffentlichkeit drang, dass eine der Schlüsselfiguren, die Missbrauch und sexuelle Ausbeutung, nicht nur in Hollywood aufdeckten und damit als Top-Thema auf die Agenda der öffentlichen Diskussion setzte, keine Frau, sondern ein Mann war. Es war Ronan Farrow, der in einem hervorragenden Artikel im The New Yorker die Wirklichkeit einiger der mächtigsten Männer in Hollywood aufdeckte und im Zuge dessen einige unschöne Details öffentlich machte. Für diesen Artikel und dessen Veröffentlichung wurden ihm und seiner Zeitung 2018 der "Pulitzer Prize", (Pulitzer Prize for Public Service) verliehen.

Was Farrow über die Exzellenz seiner Arbeit hinaus leistete und erreichte beabsichtigt oder unbeabsichtigt, war, das Thema sexuellen Missbrauch aus der Schmuddelecke zu holen, mit der bislang niemand etwas zu tun haben wollte. Ein paar Jahrhunderte lang funktionierte es erstaunlich gut, Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs immer wieder erfolgreich als einzelne Racheaktionen einiger weniger Frauen zu diskreditieren. Zwar wurden Täter in den letzten Jahrzehnten durch Gesetzgebungen, Gerichtsurteile, Berichterstattung und Austausch in sozialen Netzwerken u.ä. über solche Ereignisse zu immer mehr und immer geschickteren Winkelzügen veranlassz, von denen nun u.a. Farrow einige Wichtige im Detail aufdeckte, doch bis zum Herbst 2017 blieb dennoch grundsätzlich alles beim alten.

Überholte Machtmissbrauchs-Strukturen

Der Unterschied und das Neue an der Berichterstattung Farrwos war neben der weltweiten Diskussion, die diese auslöste, und der sachlichen Schilderung, die über die Darstellung der Taten hinausgehende faktenreiche Beschreibung der kurz-, mittel- und langfristigen Folgen für die Betroffenen. Genau damit wurden die allgemeinen Strukturen des Machtmissbrauchs sichtbarer gemacht als bisher. Das führte, obwohl an der Zahl gemessen, vor allem junge Frauen betroffen waren und sind, dazu, dass weltweit ganz normale Menschen anfingen zu begreifen, dass eine bestimmte Kombination aus Sex, Macht und Gewalt eben nicht nur dazu führt, dass einige Mädchen und Frauen beschämende Erfahrungen machen mussten, sondern auch Jungen und Männer.
Neben denjenigen, die Missbrauch und die Folgen selbst erleben mussten, fühlten deshalb nun auch andere, nicht direkt Betroffene mit und konnten sich in die Betroffenen hineinversetzen oder empfanden sich in der Rolle der unmittelbar betroffenen Umgebung verortet: als Mütter, Väter, Schwestern, Brüder, Nachbarn oder Freunde. Bei u.a. den Schauspielern in Hollywood oder beliebten Sportlerinnen und Sportlern kam außerdem eine große Zahl Fans hinzu, die sich nicht, wie stets in der Vergangenheit geschehen, angewidert von den Opfer abwandten, sondern diesmal in breiter Masse eine andere Position einnahmen und sich entrüstet von den Tätern distanzierten.

Das ermutigte zunehmend auch männliche Opfer, der Öffentlichkeit, nicht selten erst nach Jahren und Jahrzehnten, von ihrem Leiden zu berichten, öfter und mehr als jemals zuvor. Farrow hat damit eine erstaunliche, zuvor nie dagewesene Geschlechter-Unabhängigkeit bei einem Thema erreicht, das zuvor ständig als "Frauensache" deklassiert worden war, und damit angeblich nicht besonders ernst zu nehmen. Dank Farrow und einigen Kolleginnen und Kollegen seiner Zunft ist die Chance sexuellen Missbrauch als Kavaliersdelikt oder Spinnerei von einigen wenigen Frauen abzutun, inzwischen fast gleich null. Im Gegenteil, die Botschaft seiner gelungenen Berichterstattung und Analyse lautete so schlicht wie einfach: Es gibt nicht nur eine, aber ähnliche Methoden des sexuellen Machtmissbrauchs. Und von allen diesen Methoden können auch alle betroffen sein: Frauen, Männer, Kinder, Punkt.
Farrows Arbeit zeigt bis heute große Auswirkungen. Aktuell beginnen z.B. die US-Arbeiterinnen gerade damit, sich gegen sexuelle Übergriffe am Arbeitsplatz in Massen zur Wehr zu setzen. Und die meetoo'-Debatte wurde längst auf die Ausgrenzung und Unterdrückung anderer Gruppen ausgeweitet.

Nachweis der Allgemeingültigkeit

Farrow spürte die über die eigentlichen Tätlichkeiten, und Folgen für die Opfer hinausgehenden, schwerwiegenden Folgtaten ebenfalls haarlklein auf - einige davon sind wie im Lehrbuch beschrieben als "Victims Blaming" bekannt, andere gehen noch viel weiter . Er setzte die Öffentlichkeit darüber genauso in Kenntnis. Darin ging es u.a. um wochen-, monate- und jahrelange Bespitzelungen der Opfer nach den Taten, um diese zum Schweigen zu bringen, ihre Karriere kleinzuhalten, zu zerstören oder um nichts weniger, als sie ganz zu ruinieren. Das Leben so manchen Opfers wurde mit solchen Methoden nicht selten "erfolgreich" in Trümmer zerschlagen, ohne eine Chance, sich wiederaufzurichten oder gar Gerechtigkeit zu erfahren. Dieses Vorgehen, von Farrow beschrieben, in Form des fortgesetzten Machtmissbrauchs, selbst wenn die eigentlich Tat bereits vor mehreren Jahren geschah, bis in die Gegenwart ungeniert fortsetzt, konnte, wie Farrow nachwies, nur durch die jeweils herausragende finanzielle, gesellschaftliche und wirtschaftliche Macht der Täter möglich gemacht werden. Hierhin gelang ihm die über den eigentlich konkreten Fall hinausgehende Aufdeckung von Mustern und damit der Nachweis der Allgemeingültigkeit.

Die dazu gelieferten Fakten sorgten u.a. dafür, dass die jeweiligen Umfelder solcher Geschehnisse auf einmal in Massen beschämt feststellen mussten, wie sehr ihr eigenes Schweigen, Nicht-Handeln und Nicht-Hinsehen zu solchen sozialen Verwahrlosungen führen konnten und damit zum Machterhalt einzelner Täter dienten, weil sie einen Beitrag an der Fortsetzung des Missbrauchs geleistet hatten. Das wiederrum hob den Missbrauch endgültig aus der Schmuddelecke, eines bisher eher engen Kreises einer begrenzten Zahl von unmittelbar oder mittelbar Betrofffenen heraus. Farrow hob das Thema damit einerhergend aus den Tatorten, die stets verschlossene Türen hatten, und damit auch aus den Gefängnissen, Gerichtssälen und Therapieplätzen sowie aus dem damit verbunden begrenzten Personenkreis, wie Richtern, Therapeuten, Psychologen gleichwohl weit heraus - und weitete diese Räume auf die allgemeine Öffentlichkeit aus, die erfuhr, dass Missbrauch überall und täglich stattfindet sowie ein Massenphänomen ist, in dem ein einzelner Täter nicht selten eine große Zahl Opfer "verchleißt".

Heilung für alle

Damit waren auf einmal alle, damit die Öffentlichkeit als solche unmittelbar betroffen. Farrow hat zusammengefasst das erreicht, was in der Vergangenheit immer wieder vergeblich u.a. von Kinderschützern und Frauenrechtlerinnen angemahnt wurde: Sexueller Missbrauch ist ein Problem, von dem die Gesellschaft als Ganzes betroffen ist, und nur die Gesellschaft als Ganzes wird dieses Problem auch lösen können. Farrow sorgte dafür, dass es diesmal anders lief als bisher: Die Opfer wurden wieder in die Gemeinschaft aufgenommen - und dieses Mal die Täter von ihr ausgeschlossen. Farrow drehte damit wortwörtlich den Spieß um. Einer nach dem anderen verloren erstmals ab Herbst 2017 Vergewaltiger, Missbraucher, Belästiger, Grapscher, Verfolger und Bespitzeler von Missbrauchs-Opfern ihren Ruf, den sie selbst durch ihre Taten beschädigt hatten. Sie verloren nicht selten auch ihren Job, ihre entsetzen Ehepartner, ihr Geld und ihre Machtposition. Nie zuvor in der Geschichte landeten so viele Missbraucher auf einmal in genau der Schmuddelecke, die sie selbst eigentlich für ihre gequälten Opfer vorgesehen hatte, und zwar aus einem guten Grund: Weil sie sich selbst dorthin katapultiert hatten.

Farrow hat mit seinem Beitrag daher nicht nur ein paar junge Schauspieler in Hollywood gerettet, sondern dem Machtmissbrauch generell eine seit langem überfällige, sorgfältig recherchierte, exakt beschriebene, allgemeingültige, ordentliche und verdiente Absage erteilt. Die war längst überfällig, aber offenbar konnte niemand vor Ronan Farrow die Strukturen und Taktiken so lückenlos durchschauen und anschließend in Worte fassen, wie perfide mächtige Menschen bei der Unterdrückung weniger berühmter, mächtiger und finanzkräftiger Menschen vorgehen. Das bislang funktionierede Image einer grapschenden Fat Cat mit ausgezeichneten Karriereaussichten, hat Herr Farrow nicht nur angekratzt oder gestört, sondern nachhaltig zerstört.

Das bedeutet vieles, zum einen Heilung für die Opfer, aber auch für die direkte Umgebung. Es handelt sich aber auch um eine ganz unmittelbare Verteidigung bestehender Menschenrechte bei deren Umsetzung für und Anwendung auf Opfer sexuellen Missbrauchs es immer noch haperte und hapert. Farrow hat der Gesellschaft und der Welt damit einen großen Dienst erwiesen, u.a. dafür gesorgt, dass Menschenrechte nicht weiter dem Trend folgen, sukzessive zu Papiertigern zu verkommen. Nicht zuletzt sorgte er nebenbei auch für Publicity für das Recht auf Unversehrheit, das uns so selbstverständlich erscheint und dennoch jeden Tag überall immer wieder verletzt wird: Nicht begrapscht und nicht vergewaltigt und nicht herabgesetzt zu werden, ist ein bestehendes Recht, ohne Unterschied des Geschlechts, der Religion, der Herkunft - und inzwischen sollte man das hinzufüge: auch ohne Unterschied der finanzielle Möglichkeiten.

Nicht zuletzt traf Farrow ins Schwarze eine neuen Zeitgeists: Es sind nicht nur Frauen, sondern immer mehr junge Männer, die die Schnauze voll von althergebrachten Machtspielchen haben. Sie hinterfragen diese Rollenbilder und schaffen sich ihre eigenen, ganzen neuen Lebensmodelle. Nachdem sich in der Menschheitgeschichte bislang immer noch jede Generation irgendwann in unterschiedlichen Ausprägungen mit sexuellem Missbrauch arrangierte, trafen Farrows Ausführungen auf eine Generation, zumindest große Teile davon, die es offenbar satt hat, dem Missbrauch von ohnmächtigen Menschen durch Machtmenschen länger zuzusehen. Und er konnte dafür sogar noch Vertreter weiterer Generationen in großer Zahl einsammeln, die schon immer ähnlicher Ansicht waren, aber sich nie durchsetzen konnten, weil die Missbrauchstrutkuren für sie zu stark und zu mächtig waren und nie als solche in Frage gestellt wurden. Die Arbeit, die Ronan Farrow geleistet hat, offenbar eine echte Chance, überholte, verkrustete Missbrauchstrukturen hinter sich zu lassen und die Gesellschaft nachhaltig zu verändern.

Christopher Wylie, Programmierer und Whistleblower

Wylie ist zwei Jahre jünger als Farrow, ein Kanadier und Programmierer, Ex-Angestellter bei Cambrige Analytica (Insolvenz Mai 2018, Eigentümer gründete neue Firma "Emerdata", Anm. der Red.), Whistleblower. Wylie brachte sich nach eigenen Angaben selbst das Programmieren bei und hielt sich in London zum Jura-Studium auf, als er im jugendlichen Alter von 23 Jahren bei dem Datenanalyse-Unternehmen Cambridge Analytica anheuerte und dort bis 2014 blieb. Die Firma hatte sich nach eigenen Angaben auf maßgeschneiderte Kampagnen auf Basis von Big Data spezialisiert, d.h. auf der intelligenten Analyse großer Datenmengen beruhen. Damit sollten im Auftrag des Kunden die Einstellungen von Zielgruppen in gewünschte Richtungen gelenkt werden. Cambride Analytica war eine Tochter der britischen SCL-Group und wurde u.a. vom damaligen Trump-Chefberater und Breitbart News-Redakteur Stephen Bannon gegründet. Als Geldgeber fungierte der Milliardär Robert Mercer, der auch Breitbart finanzierte. Bannon war eine Zeit lang Geschäftsführer, Rebekah Mercer die Tochter von Robert Mercer deren Präsidentin. Das Unternehmen hatte vor Trump/Bannon bereits andere konservative Kandidaten unterstützt, um u.a. mit gezielt gesetzten Botschaften potentielle Wähler zu bestimmten Wahlentscheidungen zu bewegen und rühmte sich damit. Wie groß die Erfolge tatsächlich ausfielen, ist bis heute umstritten. Wahlwerbung als solche ist an sich nichts Anrüchiges, aber Erfolg und Ausmaß der neuen Methoden erstaunten die Welt und agierten zumindest am Rand verdeckter Wahlbeeinflussung.

Was war neu bei Wylie?

Vor Wylie, waren in der breiten Öffentlichkeit, spätestens seit Snowden ab 2013, vielmehr staatliche Institutionen, wie die Geheimdienste, als übereifrige Datensammler in der Kritik. Wylie räumte mit der Aufdeckung datensammenlnder Tech- und Analyse-Unternehmen mit nichts weniger als mit der weißen Weste der Tech-Konzerne auf, in diesem Fall Facebook, die sichm unbeabsichtigt oder beabsichtigt, mit ihrern Zulieferungen von Daten indirekt an solchen Manipulitionen auf Grundlage von Datenanalysen beteiligten. Und er zerrte erstmal die Branche Datenanalyse-Firmen, die mehr und mehr das eigentliche Geschäft der IT-Branche darstellt in das Licht der Weltöffentlichkeit. .

Im März 2018 berichtete Wylie der Öffentlichkeit seine Geschichte und machte einen Datenhandel im Jahr 2014 zwischen der SCL-Group und Global Science Research (GSR) bekannt, Das von Aleksandr Kogan geführte Unternehmen hatte mit einer Umfrage-App unter Facebook-Nutzern, vorwiegend in den USA , harmlos anmutende Persönlichkeitstests durchgeführt, angeblich zu wissenschaftlichen Zwecken. Die befragten Nutzer gaben dafür ihre Profile und auch ihre Kontakte frei. Insgesamt kamen dadurch - nach späteren, korrigierten Angaben von Facebook selbst - Daten von rund 87 Millionen Usern zusammen, ebenfalls die meisten davon in den USA, von deren Weiterverarbeitung über Facebook und die Wissenschaft hinaus, weder die ehemals von der App Befragten noch deren Kontakte etwas ahnten. Die Daten sollen anschließend von Cambridge Analytica als Basis für Kampagnen auf allen medialen Kanälen im US-Wahlkampf 2016 genutzt worden sein. Das wurde später von o.g. Firmen wieder dementiert. Bis heute gibt es noch viele Ungereimtheiten und fehlende Erklärungen von den damals involvierten Akteuren. Nach dem Wahlsieg von Donald Trump, dessen Team mehrere Millionen US-Dollar an CA gezahlt haben soll, verkündete CA-Chef Alexander Nix zunächst, seine Firma habe dabei eine große Rolle gespielt, doch hielt man das eher für Marketing, weil man es 2016 allgemein für noch unmöglich hielt, dass breite Massen durch Datenanalysen so stark manipuliert werden könnten, dass sie wahleintscheidend ausfielen.

Wylie, der sein schlechtes Gewissen als Grund angab, an den Öffentlichkeit zu gehen, übergab dem britischen Guardian Papiere, die als Belege für die Nutzung von Facebook-Profilen und Kontakten für das Vorgehen des Trump-Wahlkampfteams dienen sollten. Außerdem sagte er vor einem UK-Parlamentsausschuss aus. Neben dem Guardian berichtete auch die New York Times. Die Enthüllungen des Whistleblowers sorgten in der Folge der Berichterstattung auf beiden Seiten des Atlantiks für mehrere Untersuchungen und Maßnahmen - und für großen Unmut, sowohl in der Öffentlichkeit als auch bei den bereiligten Firmen und Einrichtungen, die über so viel Publicity nicht unbedingt erfreut waren. So sperrte Facebook u.a. Cambridge Analytica, verschärfte seine Regeln für Apps externer Anbieter und musste sich selbst zahlreichen Anhörungen in den USA und Europa stellen. Diversen anderen Unternehmen erging es ähnlich und sie kappten reihenweise Geschsäftskontakte zu intransparent agierenden Analyse-Unternehmen. Neben den USA und UK stellten noch einige weitere Regierungen anderer Staaten unangenehme Fragen, ebenso Datenschutzbehörden. Neben dem US-Wahlkampf sind einige weitere, folgenreiche Polit-Kampagnen bis heute Gesprächsthema - und darunter fällt nicht weniger als die Abstimmung zum Brexit in Großbritannien, deren Rechtmäßigkeit spätestens seit den Enthüllungen von Wylie bis heute in Frage gestellt wird.

Wylie hat nichts Geringeres getan, als die Geschichte des Datenmissbrauchs weiterzuschreiben und das nach Snowdon fehlende Puzzle-Stück der bisher weitestgehend unbekannten Nutzer-Überwachung und -Manipulation durch die großen Tech-Konzerne geliefert. Er hat darüber hinaus nachgewiesen dass die Internet-Nutzer, inbesondere Nutzer von Sozialen Medien, ganz genauso wie von staatlichen Insitutionen (wofür Snowden die Belege lieferte) ebenfalls von privatwirtschaftlichen Firmen im großen Stil ausgehorcht werden können. Er deckte damit gleichwohl ein neues Geschäftsmodell der Massen-Manipulation in einer Gegenwart und einer Branche auf, in der Daten der Rohstoff sind und identifizierte soziale Medien als Rohstofflieranten. Damit deckte er auch auf, dass sich die Branche weltweit etablierte hatte, ohne von der Öffentlichkeit besonders bemerkt zu werden. . 2013 ging es um staatliche Überwachung, 2018 ging es um Überwachung durch private Firmen und darüber hinaus bereits um die Manipulation der Öffentlichkeit - zu Gunsten Dritter in Form det jeweiligen Kunden der Datenanalyse-Firmen. Wylie machte damit DIE andere große Gefahr des Datensammelns öffentlich: Wenn staatliche Institutione, zum angeblichen Wohle des Staates, bei ihren Schnüffeleien bereits keine Grenzen kannten, was passiert, wenn große Unternehmen im Aufrag, u.a. von populistichen Kreisen Daten als Waffen für die Verbreitung ihrer Botschaften nutzen? Wylie lieferte nichts weniger als die Antwort darauf.

Gibt es etwas Digitales dagegen

Aber nicht nur das. Er entzauberte die großen Internet-Konzerne und erschütterte nach Snowden den Glauben der Tech-Gemeinde an die unbegrenzten Möglichkeiten, an ihre eigene Unfehlbarkeit, an die einem Algorithmus angeblich innewohnende globale Menschlichkeit und damit and das grundsätzliche Gute der IT als solche:
Statt sich mit Freunden austauschen oder bei Freunden zu übernachten, interessieren sich Vorstände und Shareholder der einst innovativen und hippen Branche inzwischen weniger für die Verbesserung der Welt oder das Wohlbefinden ihrer User als vielmehr für die Rendite. Damit agieren sie, wie Wylie aufdeckte, nicht anders als sämtliche Konzerne der sogenannten Old Economy auch, deren Ziel die schlichte Gewinnmaximierung ist. Der User und seine Daten sind nur Mittel zum Zweck dazu, so wie Rohstoff in anderen Branchen auch, den man gemäß dem ökonomischen Prinzip zu einem bestimmten Preis oder möglichst günstig einkauft, um das Produkt - Profile und Kontakte - später möglichst teuer oder zu einem bestimmten Preis verkauft.

Nur ein Teil des Skandal besteht darin, ähnlich wie bei Snowden, dass die Leute darüber weder informiert worden sind, noch ihr Einverständnis dafür gegeben haben, Teil irgendwelcher Geschäfte zu sein, gar Teil einer politischen Kampagne im Kundenauftrag eines ihnen vollkommen unbekannten Dritten geworden zu sein. Die eigentliche Leistung Wylies ist Entzauberung der Tech-Konzerne als angebliche Weltverbesserer und der des Algorithmus als Allheilmittel, an dem die Welt genesen werde. Und so traut sich die als analoge Mär verunglimpfte Kritik inzwischen wieder vestärkt, sich zu äußern. Während die Digitalisierung aus allen Ecken ruft, werden die Stimmen seit Wylie immer konkreter, auch hierzulande. Was nützt zum Beispiel Schülern die Digitalisierung ihrer Schule, wenn die Schul-Klos immer wieder kaputt sind, und zwar seit dreißig Jahren durchgehend. Gibt es etwas Digitales dagegen?

Selbst zu Wahlen müssen immer noch analoge Menschen schreiten und vor jeder einzelnen Wahl versuchen sich dank Wylie inzwischen ganze Staaten gegen gezielte Wahlbeeinflussung zu rüsten. Überall werden Cybersicherheitsbehörden aus dem Boden gestampft, neue Sicherheitsvorschriften und Gesetze erlassen oder ändern Unternehmen ihre Geschäftspraktiken, zum Teil radikal. Wie diese Entwicklung weitergehen wird, weiß zur Zeit niemand. Wylie hat damit einen unschätzbaren Beitrag geleistet, die Wirklichkeit der reinen Selbstdarstellung von Internet-Firmen um jene unangenehme Wahrheiten zu ergänzen, die auch dadurch entstehen konnten, weil die IT-Wirtschaft sich lange Zeit als angeblich kostenlosdarstellte. Dabei war Sicherheit schon immer sehr teuer, u.a. weil sie personalintensiv ist, wie auch die beiden nächsten Wirtschaftswetter-Männer zeigen werden.
Und zumindest das haben die Konzerne, die einst aus Garagen entstanden sind, viel zu lange vernachlässigt, einfach nicht daran gedacht oder vergessen, in ihre Programme zu schreiben. Wylie räumte 2018 ganz plötzlich, unerwartet und überfällig mit dieser schönen, neuen Internet-Welt voller neue Freunde, schöner Freizeit-Aktivitäten, problemloser Kommunikation, modernster Arbeitsplätze und einer strahlend-transparenten und problemlosen Zukunft auf - und hat damit auch den Hintergrund aufgedeckt und die bisher fehlende Erklärung dafür geliefert, warum das angebliche endlos wachsende Vertrauen in sich, andere und die ganze Welt, wofür die IT-Branche immer so hübsch geworben hatte, längst einer allgemeinen Misstrauens-Kultur gewichen ist, in der jeder jedem misstraut bis verdächtigt, etwas zu verbergen - was Wylie bestätigte - und trotz aller wunderschönen Kommunikationsmöglichkeiten im 21. Jahrhundert Aggressionen eher zu-als abnehmen.

Datenanalyse - eine heiße Branche und ihre Tücken

Darüber hinaus hat Wylie ganz konkret dazu beitgetragen, die Öffentlichkeit auf das Thema der Nutznießer-Firmen von sozialen Netzwerken und deren riesigen Datenbestände zu lenken, die Branche "Datenanalyse". Soziale Netzwerke haben sich von der Öffentlichkeit relativ unbemerkt zur Zulieferbranche für die eigentliche Auswertung entwickelt - allein zum Kunden-Nutzen. So gibt es z.B. auch Unternehmen, die sich auf die Analyse von Ferienimmobilien spezialisiert haben. Kunden, in dem Fall, Immobilien- und Wohnungsbesitzer oder Mieter, können sich dort bis ins kleinste Detail ausrechnen und analysieren lassen, wie sie ihre Häuser und Wohnungen am besten, teuersten und damit gewinnbringend vermieten können, und zwar auf dem globalen Immobilienmarkt, was immer mehr genutzt wird.
Mit einer Wohnung, die fest vermietet, vielleicht 10.000 Euro Einnahmen im Jahr generiert, können damit leicht 40.000 Euro pro Jahr erwirtschaftet werden. Mit rund drei auf diese Art vermietete Wohnungen dürfte ein Ferien-Vermieter ausgesorgt haben. Die Politik ist angesichts solcher großen Einnahmensunterschiede schlicht machtlos, der Markt bestimmt - und die Analysefirmen könnten zwar auch anderes analysieren, aber liefern, das, was gefragt wird. Erstaunlicherweise ist das einzige, was den anhaltenden Trend der boomenden Ferienwohnungen noch stoppen könnte, ein ganz kleines, schlichtes Tierchen, nämlich die Bettwanze, die sich bei festen Mietern einfach nicht so schnell eintstellt, wie bei ständig wechseldnen. Und das treibt die Kosten der Ferienwohnungen inzwischen hoch, ist aber noch kein öffentliches Thema, sondern wird aktuell lediglich unter der Hand diskutiert.
Die Datenanalyse-Unternehmen treiben die Datensammler u.a. die der sozialen Netzwerke vor sich her. Je nachdem, welche Ziele die Datenanalytiker formulieren, werden in der Gegenwart weltweit umspannender Netzwerke automatisch zu weltweiten Geschäftsmodellen. Nicht nur manipulierte Wahlen sind eine Gefahr. Wer das Beispiel der Ferienwohnungs-Plattformen in einen möglichen Zusammenhang mit der wachsenden Wohnungnot und steigenden Mieten bringt, wird das schlechte Gewissen eines Christopher Wylie als Anlass seiner Enthüllungen sicher besser nachvollziehen können, der der Öffentlichkeit den großen Dienst erwiesen hat, sie im Jahr 2018 auf den aktuellen Stand ihrer Desinformation zu Gunsten von zweifelhaften Geschäftsmodellen zu bringen.

Hans Block und Moritz Riesewieck

Mit den Wirtschaftswetter-Männern 3 und 4 folgt jetzt die Synthese aus Gewalt, Sex, Datenanalyse und Internet, die Hans Block und Moritz Riesewieck gekonnt in einen Film gegossen haben. Beide Regisseure sind jugendliche 33, stammen aus Berlin und Herdecke - und damit begrüßen wir wieder zwei deutsche Preisträger in unserer Hall of Fame.
Block und Riesewieck schafften mit ihrem Debütfilm "The Cleaners" - mit seinen mutigen Protagonisten - , einen Dokumentarfilm, der eine harte Realität zeigt, die man vor wenigen Jahren noch für einen Science Fiction gehalten hätte. Es würde jedenfalls nicht wundern, wenn diese erst seit kurzem entstandene neue Entsorgungsbranche von einem talentierten Sci-Fi-Autor bereits in der Vergangenheit beschrieben worden wäre. So unwirklich sie erscheint, so real ist sie: Die Internet-Müll-Ensorgungsmitarbeiter sind inzwischen ein feste Abteilung innerhalb der Internet-Contentindustrie, ohne die das Netz zumachen kann, weil ohne sie so gut wie nichts mehr als ein riesiger Müllberg vorhanden wäre, der zum Himmel stinkt.

Wie konnte es dazu kommen?

Die Frage klärt der Film nicht auf. Die Gründe, warum überhaupt so viel Müll im Netz landet, sind vielfältig, aber Wylie, siehe oben, klärte zumindest darüber auf, dass Datenanalyse-Firmen mit Millionen-Beträgen finanzierte Kampagnen auf das Netz legen und Otto Normalverbraucher mit seinen einzelnen Laien-Beiträgen auf irgendeiner Plattform i.d. R. auf dem Markt der Aufmerksamkeits--Ökonomie gegen die gut bezahlten, technisch einwandfreien und ausgeklügelt kontruierten Texte und Bilder von Marketing-Profis, die dank Datenanalyse so viel über ihre Zielgruppen wissen, wie noch nie, nicht den geringsten Hauch einer Chance hat.
Block und Riesewieck beschränken sich auf die Dokumentation des IST-Zustandes. Sie halten zunächst nur die Kamera auf das Gewerbe drauf, und zeigen die titelgebenden Beschäftigten, die neuen Aufräumer, Content-Kontrolleure oder titelgebenden "Cleaner", die den ganzen Tag nichts anderes tun, als den Dreck oder vermeintlichen Dreck, den Leute im Netz produzieren, auf- und einzusammeln, ignorieren oder löschen zu müssen. Das betrifft zumindest einen großen Teil der Internetinhalte, aber auch kritische Inhalte, u.a. falsch gedeutete Satire und Karrikaturen oder Kriegsberichtserstattung fallen den Aufräumtruppen zum Opfer, wie der Film so sachlich wie eindringlich aufdeckt.

Für diese Arbeit sind Saubermänner und -frauen, irgendwo und überall auf der Welt, nicht selten für kleines Geld, bei den großen Internet-Plattformen eingestellt, die den ganzen Tag lang - manche sogar sieben Tage die Woche in Vollzeit - auffällige Inhalten zunächst einmal sichten müssen. Darunter fallen Texte, Bilder und insbesondere Videos mit zum Teil unterträglichen Gewaltdarstellungen. Der Film beginnt mit einigen eindeutigen Fällen, die trotz des kleinen Auschnitts und der Kürze, die überhaupt zu sehen sind, bereits für den Zuschauer des Film "anstrengend" sind. Nicht auszumalen, sollte man sich solchen Dreck den ganzen Tag lang - und das auch noch mehrere Jahre lang - ansehen müssen. Doch genau darin besteht die Haupttätigkeit der Internet-Entsorger.

Wer entscheidet, was richtig und wichtig ist?

Von Menschen produzierter Müll ist immer anstrengend. Dass die Tätigkeit der "Cleaner" allerdings nach einer Weile zwangsläufig traumatisierend wirkt, wird dem Zuschauer sofort deutlich. Der Film schildert weiter, wie rar Ausbildungen und Schulungen sind oder ungenügend ausfallen, genauso die Hilfen für traumatisierte Mitarbeiter, auch wenn jede Firma inzwischen Psychologen beschäftigt. Nicht jeder Mitarbeiter will sich die Blöße geben oder ist der Meinung, er oder sie seien angeblich das Problem. Der Film zeigt auf, das Problem ist die Materie selbst. Er zeigt auch, dass nicht nur überflüssige Gewaltdarstellungen nach der Sichtung verdient gelöscht werden, sondern, auch kritische Inhalte, die durchaus für die Öffentlichkeit geeignet wären, z.B. Bilder und Texte der Kriegsberichtserstattung oder auch aus Kunst, Wissenschaft sowie Karrikaturen und Satiren von den Entsorgern eliminiert werden. Letzteres zeigt, wie solche Regeln, u. a. das deutsche Netzwerksdurchsetzungsgesetz weitestgehend ihre Ziele verfehlen, da mit diesen Entsorgern, ohne dass diese selbst irgendeine Schuld oder Verantwortung dafür tragen, in der Praxis nichts anderes als eine zweifelhafte Internet-Zensur eingeführt wurde, die ohne selbst allgemein und gesetzlich geregelt zu sein, je nach wechselnden Vorgaben der jeweiligen Internet-Frmen, in eigener Regie agieren. Das befeuert die Kritik, dass nicht privatwirschaftlich orientierte Firmen entscheiden sollten, was im Netz zu sehen ist, und was nicht.

Darüber hinaus machen Block und Riesewick eine bis dato weitesgehend unbekannte und versteckt arbeitende Branche öffentlich und geben dadurch jedem einzelnen Internet-User ein tieferes Verständnis dafür, warum sich Hass und Gewalt im aktuellen Internet schneller verbreiten als freundlichere Inhalte. Vor allem zeigen die beiden Filmemacher, welche Wirkung der Dauergebrauch u.a. von Gewaltdarstellungen und Hassbildern hat: Nach diesem Film dürfte sich niemand mehr wundern, warum exessive Internet-Nutzung, inbesondere die von großen öffentlichen sozialen Netzwerken und Videoplattformen, Menschen frustriert, aggressiv oder depressiv machen kann mit langfristigen Folgen. Man muss sich nur die Cleaner angsehen, um festzustellen, wie sich diese innerhalb von kurzer Zeit von freundlichen, offenen Menschen in resverierte Schatten-Wesen einer Schattenindustrie mit verschlossenem bis bedrücktem Gesichtsausdruck verwandeln, die sich nur noch zurückhaltend äußern. Auf ihrem Weg zur Arbeit und zurück schauen sie weder nach rechs und links und trauem ihrem Gegenüber möglicherweise inzwischen alles zu, weil sie jeden Tag viel zu viele traumatische Inhalte ansehen müssen, die je nach dem Kulturkreis, aus dem die Mitarbeiter stammen, jeweils andere fatale emotionale Reaktionen hervorrufen. Und egal aus welchem Kulturkreis stammend: Wer sich da nicht innerlich zumacht und nach außen abschottet, hält diese Arbeit auf Dauer einfach nicht aus.

Zusätzlich entzaubern Block und Riesewick ähnlich wie Farrow und Wylie einen weiteren von vielen Mythen der schönen, neuen Gegenwart - in diesem Fall nicht weniger als die Macht des Algorithmus, an die lange blind geglaubt wurde - und an der weitergearbeitet wird. Regelmäßig kündigen die Großen der Branche Änderungen an, gibt es durchaus Erfolge und doch zeigt sich der Algorithmus dem Massen-Müll im Internet gegenüber offenbar ähnlich machtlos wie die Politik. Es sind immer noch schlichte menschliche Miterabeiter, die diesen Müll täglich händisch entsorgen müssen. Bis heute existiert kein Programm, das den Internet-Müll sauber und automatisch entsorgen kann, u.a. weil a) zu viel eingespeist wird und b) die Inhalte zum Teil viel zu komplex sind, als dass eine Maschine entscheiden könnte, was nun so daneben ist, dass es nicht gezeigt werden kann und was nicht, trotz aller Fortschritte.
Nichts weniger als dieses Versagen zeigt der Film und erschüttert das Vertrauen in die Branche nachhaltig und konkret daingehend, dass er nichts weniger als die Grenzen der Programmierbarkeit und Rechnerleistung aufzeigt, die aktuell bereits vor Filmen, Texten und Videos kapituliert. Was ist aber, mit der Gefahr, solcher u.a. unterscheidungsunfähigen Algorithmen für Materie, Produkte und Menschen im Internet der Dinge?

Menschliche Entsorger-Truppen als Dauer-Lösung?

Wenn sich IT-Netze zu einem weltumspannenden, "sozialen" Netzwerk der Dinge weiterentwickelen, in denen Viren, Trojaner und ihre Trolle, Hersteller und Verbreiter genauso zu einem nicht mehr zu beseitigendem festen Bestandteil etablieren wie heutzutage Gewalt-Videos, Fakenews und Hass-Botschaften auf Videoplattformen u.ä. und ihre Zahl ansteigt, müssen wir uns dann darauf einstellen, dass auf der anderen Seite Millionen von "Putztruppen" mit ähnlich viel Manpower unterwegs sein werden, um diesen ganzen Müll wieder loszuwerden? Müssen wir, bevor wir in unser automes Auto steigen, erst den humanen Sicherheitsdienst überprüfen lassen, dass das Öffnen der Türe sicher ist und man gefahrlos den Motor einschalten kann, weil jeder Virus unschädlich gemacht wurde? Die Einrichtung und Aufrüstung der Cybersicherheitsabteilunen weltweit zeigt bereits, dass diese Entwicklung bereits eingesetzt hat und die IT-Wirtschaft sollte sich endlich etwas mehr für die IoT-Landschaft einfallen lassen, damit wir nicht die ganze Zeit, die wir mit IT-Technik eingespart hatten, in Zukunft dafür nutzen müssen, um sie überhaupt noch einigermaßen am Laufen halten zu können.

Wenn bei der aktuellen Entsorgung bereits Kunstwerke, Karrikaturen und Satire genauso gelöscht werden wie unterträgliche Veröffentlichungen von Hinrichtungen, wie die beiden Regisseure eindringlich zeigen, weisen sie auch damit auf den Irrsinn des Unterfangens hin. Neben Block und Riesewieck müssen auch die weiblichen und männlichen Mitarbeiter gewürdigt werden, die den Mut hatten, ihre Arbeit dokumentieren zu lassen und damit der Öffentlichkeit die Chance zu geben, an ihrer Arbeit teilzuhaben, die zum Alltag der Internetriesen genauso gehört wie die glamourösen Einführungen neuer Devices.

Genau so wie in der realen Welt, findet sich auch in der digitalen Welt jeder Mist, den die Menschheit täglich produziert und eine kleine Truppe von Müllfrauen und -männern soll die Menschheit nun davon befreien. Professionell sieht das nicht aus, dokumentiert aber auch das immer noch aktuelle Versagen der Algorithmen, von denen ihre Erfinder stoisch hoffen, dass diese eines Tages, gepaart mit KI automatisch mit allem und jedem fertigwerden. Wer diesen Film gesehen hat, wird daran seine berechtigten Zweifel haben.
Der große Dienst, den die Filmemacher der Öffenlichkeit erwiesen haben, ist, die Gegenwart der Netzwelt darzustellen und vor einer großen und konkreten Gefahr für die Zukunft zu warnen, wenn sich an der Notwendigkeit dieser Praxis menschlicher Entsorgungstruppen nicht bald etwas ändert. Das aktuelle Szenario auf eine durchdigitalisierte Wirschaft mit dem Internet der Dinge inklusive autonomen Maschinen und autonom regelndem Verkehr u.a. umgesetzt, könnte entweder kläglich scheitern oder im besten Fall horrende Kosten verursachen, die jede bisherige Einsparung durch die IT ad absurdum führten. An der Schnittstelle von Mensch und Maschine gibt es also noch sehr viel zu tun.

Das Wirtschaftswetter verneigt sich im Jahr 2018 vor: Ronan Farrow, Christopher Wylie, Hans Block und Moritz Riesewick - für ihren Dienst an der Öffentlichkeit, über systemrelevante, kritische Strukturen und Geschäftsmodelle aufzuklären und damit einen entscheidenden Betrag für die zukünftige Entwicklung zu leisten.


Alle bisherigen Titelträger:
2017 - Emmanuel Macron, Frans Timmermans, Colin Kaepernick, Vladimir Ledecky, Jens Söring, die Pioniere auf ihrem jeweiligen Gebiet

2016 - Erdem Gül und Can Dündar , die wortgewandten Kämpfer für Presse- und Meinungsfreiheit

2015 - Helmut Schmidt und Joachim Löw, die German Gentlemen in schwierigen Zeiten

2014 - König Juan Carlos I. von Spanien für die wiederholte Rettung der Demokratie in Spanien und Europa

2013 - Edward Snowden - Artikel mit Bezug zum Preisträger: Der Sommer der Überwachung - für die Durchsetzung eines der wichtigsten der einst von US-Präsident John F. Kennedy formulierten, universellen Verbraucherrechte: Das Recht, informiert zu sein - The right to be informed


2018-10-11, Update 2018-05-27, Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
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