von Angelika Petrich-Hornetz
Ab der 40. Woche startet die Arbeitsgemeinschaft Influenza (AGI) unter Federführung des Robert-Koch-Instituts wieder pünktlich ihre alljährlichen Grippeberichte plus Deutschlandkarte im Netz. Eine echte Horrorkarte, auf der in giftgrünen, giftgelben und knallroten Farben die Bewegung der Grippeinfektionen in Deutschland dargestellt werden. Starrt man zu lange auf die Karte oder liest die Wochenberichte der eigenen Region, überkommt einen in einem knallroten Gebiet an manchen Tagen der Wunsch nach einem ABC-Schutzbunker. Nur, wer kann es sich schon leisten, nur wegen einer möglichen Grippeinfektion freiwillig in die Isolationsschutzhaft zu wechseln, weil er gleichfalls weder Lust noch Zeit hat, wochenlang flach im Bett zu liegen?
Man muss auch nicht gleich den Teufel Grippe an die Wand malen, weil noch genügend andere, ekelige, im Sinne von ansteckenden, Keime kursieren können, die einem das Leben spürbar erschweren. Auch eine schwere Erkältung schränkt den Alltag stark ein, vom Arbeitsalltag ganz zu schweigen. Sicher ist auch in den Wintermonaten das Husten von links, das Röcheln von rechts und das Niesen von hinten in öffentlichen Verkehrsmitteln ein Grund, warum so mancher Bundesbürger eben nicht auf seinen privaten PKW für den Weg zum Arbeitsplatz verzichten mag. Zumal er in seinem eigenen Wagen auch noch die alleinige Reinigungs-Hoheit inne hat. In Deutschland wäre man darüber hinaus wahrscheinlich der Hingucker des öffentlichen Nahverkehrs schlechthin, wenn man wie in Tokio mit einem Mundschutz bewaffnet in die U-Bahn stiege. Bei akuten Nies- und Hustenanfällen empfiehlt es sich daher, ein stets griffbereites Taschentuch vor Mund und Nase zu halten – so verringert man wenigstens die sonst explosionsartige Übertragungsart. Und was kann man sonst noch tun?
Über Husten und Niesen werden zweifelsohne viele Viren und Bakterien übertragen. Doch auch andere Wege stehen diesen öffentlich-rechtlich offen. Einige davon sind durchaus vermeidbar – wenn es denn nur nicht so schrecklich unhöflich wäre. Traditionell gehört ein Händedruck mit Blick in die Augen zur Begrüßung – oder ein Küsschen links und rechts auf die Wange. In Deutschland der Händedruck, in anderen Ländern der, zumindest angedeutete, Wangenkuss, sind wichtige Gesten, die im täglichen Miteinander Wärme, Kontaktwunsch und die Zuwendung von Aufmerksamkeit signalisieren, Vertrauen wecken, Gespräche einleiten, Kommunikation von Angesicht zu Angesicht erst ermöglichen. Das ist an sich auch gut so.
Nur, in den Zeiten von Grippe und Co werden diese als angenehm empfundenen Umgangsformen auf einmal kontraproduktiv - ein hässlicher Ausdruck -, was einst produktiv war, verkehrt sich ins Gegenteil. Fortwährendes Händeschütteln richtet in Zeiten, in denen die Grippe umgeht oder bei um sich greifenden Magen-Darm-Infektionen, plötzlich mehr Schaden als Nutzen an: Es kann den Schütteler und den Geschüttelten gleichermaßen treffen, je nachdem, wer gerade welche Keime auf Händen trägt und wortwörtlich weiterreicht. Das Schlimme daran: Sie wirken zeitversetzt. Der gut gemeinte Handschlag ist schon lange in Vergessenheit geraten, wenn sich die ersten Krankheitssymptome zeigen. Dabei will jeder mit seinem aufrichtig gemeinten Händedruck Freundlichkeit demonstrieren, und keinesfalls krankmachende Keime übertragen - jedenfalls nicht mit Absicht.
Vor ein paar Jahren untersuchte das TV-Magazin Panorama die Keime auf Ärztehänden in Krankenhäusern und fand heraus, dass sich auf einigen mehr organisches Leben befand als auf einem Klodeckel. Allerdings, das Problem ist in medizinischen Kreisen weitläufig bekannt, und man hat dort inzwischen eher Schwierigkeiten, überhaupt noch jemanden zu finden, der einem die Hand reicht. Händedesinfektion ist in Kliniken eine tägliche Dauerverrichtung, und wer dort Hände schüttelt, der hat sie vorher gewaschen und desinfiziert. Auch in Küchen und Kindergärten sowie einigen anderen Einrichtungen verschwindet der Händedruck pünktlich zur Erkältungssaison immer mehr von der Bildfläche – oder wird mit entsprechenden Maßnahmen begleitet.
Manche Ärzte praktizieren den herzerwärmenden Händedruck dagegen immer noch ganz bewusst, und das aus einem guten Grund, schließlich ist das Verhältnis zwischen Arzt und Patient auch ein besonderes Vertrauensverhältnis. Was die Patienten allerdings nicht sehen: Sobald sie aus der Tür sind, desinfiziert sich der Arzt die Hände. Manche Mediziner waschen und desinfizieren auch ganz selbstverständlich im Beisein des Patienten. Niemand wundert sich darüber, im Gegenteil. Gerade das fördert die Gewissheit, hier werden die Hygiene-Regeln beachtet, und das schafft ein Gefühl der Sicherheit. Was verbreitet mehr Vertrauen als sinnvolle Regeln, die eingehalten werden - komme was da wolle?
Doch das war’s dann auch schon mit den Überlegungen über Sinn und Unsinn von Umgangsformen und Regeln. Kaum jemand denkt darüber nach, warum es so gehandhabt wird. Niemand fragt sich, ob Ärzte wirklich die einzige Berufsgruppe auf der Welt sind, die täglich zig Leuten die Hand geben, zumal es sich in einigen Fachpraxen noch nicht einmal um besonders ansteckende Krankheiten handelt. Auch abseits von infektiösen Erkrankungen wird Hygiene und Händedesinfektion in Praxen und Kliniken angewandt, weil hier sehr viele Menschen an einem Ort sind. Doch sehr viele Menschen kommen auch an anderen Orten zusammen.
Während das Handwerk auch häufig wenigsten zu Waschpaste und Wasser greift, weniger wegen unsichtbarer Hygiene als wegen des sichtbaren Drecks, der sich unvermeidlich ansammelt, ist die Händehygiene in Wirtschaft und Verwaltung zu vernachlässigen, so scheint es. Kein Büro mit Publikumsverkehr kommt auf die wahnwitzige Idee, ein Waschbecken zu installieren oder gar Desinfektionsmittel bereitzustellen. Die Sanitäranlagen sind am Ende des Flurs, eine Meile geradeaus. In stark von der Öffentlichkeit frequentierten Abteilungen ist man daher zu einer vernünftigen Lösung übergangen, womit Bürokraten auf den ratsuchenden Bürger allerdings nicht unbedingt sympathischer wirken: Man vermeidet es mittlerweile die Hand zu reichen. Ganz Mutige wagen es sogar lächelnd, aber bestimmt eine dargebotene Hand abzulehnen und nur freundlich nickend zu grüßen, um sogleich beflissen nach dem Anliegen zu fragen.
Es scheint die beste Lösung zu sein. Nur stößt diese leider nicht überall auf Gegenliebe. Sicher, wenn Ihnen ein stark erkältetes, hustendes, schniefendes Häufchen Elend von Mensch gegenübersteht, das lächelnd Ihre Hand ablehnt, wirkt ein Lächeln in den meisten Fällen auch eher so, als würde Dracula krampfhaft versuchen einladend zu wirken, und führte dennoch Grundböses im Schilde. Krankheit, obwohl Erwerbstätige in Erkältungszeiten wie die Fliegen von der Wand ins Bett fallen, ist in vielen Branchen immer noch kein Thema. Man hat dann eben Pech gehabt. Und wer schon blass vor Erkältung oder grün vor Enteritis ausschaut, hat zumindest den Vorteil, dass ihm von einigen Talentierten mit Beobachtungsgabe von vorne herein nicht allzu viele Hände angeboten werden oder das Verständnis für die Ablehnung wenigstens noch einigermaßen nachvollzogen wird – zu Recht.
Kontaktverminderung, -vermeidung bis hin zur Isolierung sind sinnvolle Hygienemaßnahmen, wenn ansteckende Krankheiten umgehen. Damit es gar nicht erst dazu kommt, dass alle getrennt voneinander eingebunkert das Ende einer Epidemie abwarten müssen, sollten Sie beherzt damit beginnen auf Händeschütteln und Wangenküsschen zu verzichten, sobald Sie merken, dass Sie schwer erkältet oder von Durchfallviren betroffen sind. Sie möchten sicher keinesfalls, dass Ihr Gegenüber, sei es Ihr Arbeitskollege, Ihr Vorgesetzter, Ihre Nachbarin, Ihre Großmutter oder nur der Post-Kurier Ihre Magendarm- oder sonstige Grippeviren mit einem warmen Händedruck frei Haus erhalten – und diese womöglich auch noch in der ganzen Stadt verteilen.
Sicher, es ist nicht einfach im europäischen Kulturraum auf Küsschen und Händedruck zu verzichten und sich von einem Tag auf den anderen in einen Asiaten zu verwandeln, der sich zwar berührungslos, doch dabei nicht weniger aufrichtig gemeint und nicht weniger die Ehre erweisend ganz schlicht verbeugt. In Europa wirkt man mit einer derart verkürzten Begrüßung leider automatisch distanzierter und viel kühler, als man in Wahrheit ist. Genauso, wie sich derjenige, der vergebens auf den Händedruck wartet, immer etwas zurückgewiesen fühlt oder sich sogar als größte bislang unerkannte Virenschleuder vorkommen mag, die er ebenso wenig ist. Der Arzt, der Hände drückt, hat es da schon besser, er ist nämlich ganz schlicht besser ausgerüstet. Wer würde das in einem Büro schon erwarten? So können wir nicht immer und überall unsere Hände waschen und müssen improvisieren. So tief wie in Japan muss sich immerhin auch niemand verbeugen. Ein freundliches Kopfnicken und ein aufmerksamer Blick in die Augen mit einem Lächeln verbunden kann auch sehr nett ankommen – jedenfalls für den, der es richtig zu deuten weiß.
Als dermaßen knapp begrüßtes Gegenüber oder als Beobachter solch einer Begrüßungsszene: Denken Sie nicht, der Händedrück-Verweigerer sei Ihnen nicht gewogen oder gar ein unhöflicher Schuft von zweifelhafter Herkunft. Ganz das Gegenteil der Fall: Jeder, der Ihnen in Durchfall- , Erkältungs-, und Grippewellen nicht die Hand gibt, wünscht Ihnen so ernstgemeint wie herzlich nur das Beste, vor allem eine von negativen Einflüssen freie Gesundheit und einen von unnötig übertragenen Infektionen unbelasteten Tag.
2007-10-01 Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
Illus: ©ap
Hand-Fotos: ©Cornelia Schaible, Birgid Hanke, Sabine Neureiter
Foto Themenbanner: ©Cornelia Schaible
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