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Nele Böhm Kolumne

Hartz IV - Die ungeschminkte Wahrheit

II. Lebensmitteleinkauf

von Nele Böhm

Heute ist der 19. Noch 11 Tage bis zum Monatsende. In meinem Portemonnaie sind noch genau 26 Euro. Für mich ist das viel Geld. Wenn man aber davon tanken und für sich und vier Kinder einkaufen muss, ist es verdammt wenig.
20 Euro gebe ich an der Tankstelle aus. Der Tank ist nicht mal halb voll. Trotz des niedrigen Preises von 1,40 Euro. Bleiben 6 Euro für dieses Wochenende. Toll. Ich gehe durch die Gänge des Discounters und überlege. Heute Abendessen, morgen Frühstück, Mittagessen, Abendessen. Sonntag Frühstück. Danach sind die Kinder bei ihrem Vater. Das bedeutet, zwei Mahlzeiten weniger.

Ich greife nach dem abgepackten Brot für 55 Cent. Früher habe ich über Leute die Nase gerümpft, die billiges Brot kaufen. In einem anderen Leben (so jedenfalls kommt es mir vor) konnte ich nicht mal verstehen, warum Leute bei Lebensmitteln sparen. Heute bin ich heilfroh, dass es Brot für 55 Cent gibt. Zwei Packungen brauchen wir. Macht 1,10 Euro. Kartoffeln gibt’s für 99 Cent, 2 ½ Kilo. Prima. In den Wagen damit. Ich übersehe angestrengt die Bio-Kartoffeln direkt daneben. Die kosten mehr als das Doppelte. Das ist nicht drin. Sagt eine Mutter, der qualitativ gute Ernährung für ihre Kinder immer ganz wichtig war. Wie gesagt – in einem anderen Leben.
Eier aus Bodenhaltung. 1,25 Euro. Früher haben wir Bio-Eier direkt beim Bauern gekauft. Wissen Sie eigentlich, wie gut Bio-Eier schmecken? Ich nicht mehr. Ich kaufe jetzt Eier aus Boden- oder Käfighaltung. Und schiebe mein schlechtes Gewissen ganz weit weg. 3,34 Euro. Schnell im Kopf zusammengerechnet. Früher konnte ich das gut. Heute kann ich es hervorragend. Meine Kinder staunen immer darüber.
Ein Glas Gurken. 79 Cent. Zusammen mit dem Becher Sahne und dem Senf im Kühlschrank zuhause ergibt das schon eine Mahlzeit: Kartoffeln mit Senfsoße, Eiern und Gurken. Die Kinder essen das gern. Ich auch. Und es macht schön satt. Ein paar von den Eiern müssen wir überlassen für Pfannkuchen. Ein paar Äpfel haben wir vorgestern geschenkt bekommen. Wieder eine Mahlzeit: Apfel-Pfannkuchen. Mehl haben wir. Öl auch.
4,13 Euro.

Was brauchen wir noch? Brotaufstrich. Wie immer, Marmelade oder Honig. Marmelade bekommen wir von Oma. Ein großes Glas Honig steht im Vorratsschrank. Da ist noch was drin. Und wenn das nicht reicht, gibt’s Kräutersalz auf’s Brot. Das kennen die Kinder vom Kindergarten, und sie essen es gern.
1 Beutel Möhren für 79 Cent. Sieht so aus, als wäre heute mein Glückstag. Zwei warme Mahlzeiten gesichert, die dritte wird aus Kartoffel-Möhren-Gemüse bestehen. Oder aus Bratkartoffeln mit Möhrensalat. Da sage noch jemand, von Hartz IV Leistungen könnte man nicht gesund leben!
4,92 Euro.
Lebensmittel Auf dem Weg zur Kasse komme ich an dem Regal mit Kuchen und Süßigkeiten vorbei. Abgepackte Waffeln gibt’s. 12 Stück zu 55 Cent. Ich nehme zwei Packungen. Luxus? Ja, vielleicht. Und vielleicht hätte ich besser noch Obst gekauft. Oder Salat. Aber was soll’s. Die Kinder lieben diese Waffeln – sie werden getoastet, mit Marmelade bestrichen, mit Honig gegessen oder einfach so.
Ich stehe an der Kasse. Nicht auf die Leute mit den vollgepackten Einkaufswagen schauen. Bloß nicht. Schultern straffen. Aufrecht stehen. Kopf hoch. Ja, so ist es gut. Mit einem freundlichen Lächeln bezahlen.
6,02 Euro. 2 Cent mehr als ich habe. Nach einigem Kramen findet sich noch ein 2 Cent Stück in einem Winkel meines Portemonnaies. Glück gehabt.

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2008-10-01 Nele Böhm, Wirtschaftswetter
Text: ©Nele Böhm
Fotos Themenbanner: ©Cornelia Schaible
Illustrationen: ©ap
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