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Nele Böhm Kolumne

Hartz IV - Die ungeschminkte Wahrheit

V. Das Unmögliche möglich machen

von Nele Böhm

Vielleicht fragen sich einige Leser inzwischen, warum ich noch nicht aufgegeben habe.
Ja, das frage ich mich auch oft. Keine Ahnung. Vielleicht, weil ich erst gar keine Zeit habe, übers Aufgeben nachzudenken? Weil Aufgeben keine Lösung ist? Weil ich schon ganz andere Dinge im Leben überstanden habe? Weil ich über eine ausgeprägte jetzt erst recht!-Haltung verfüge? Weil ich fest daran glaube, dass wir früher oder später aus diesem Elend herauskommen? Oder weil ich wunderbare Freunde habe, die immer sofort zur Stelle sind und die uns helfen, ohne mit der Wimper zu zucken?
Vermutlich von allem etwas.
Und so schlimm sich das alles anhört, was Sie hier lesen - es geht. Irgendwie. In den letzten zwei Jahren habe ich zu meinem großen Erstaunen gelernt, dass der alte Spruch von dem Lichtlein, dass irgendwoher kommt, wenn man meint es geht nicht mehr, keine abgegriffene Binsenweisheit ist, sondern tatsächlich wahr.

Wenn meine Kleine eine neue Winterjacke braucht, weil die alte beim besten Willen nicht mehr passt, bekommen wir einen großen Karton Kinderkleidung geschenkt.
Wenn der Kühlschrank leer ist und ich gerade die letzten Euros in meinem Portemonnaie zähle, flattert ein Auftrag ins Haus, für den es einen Vorschuss gibt.
Wenn das Auto streikt, findet sich jemand, der sagt Ich bring das schnell in Ordnung und der mit einem Dankeschön oder einem Kaffee zufrieden ist.

Manchmal kann ich es selbst nicht glauben. Und oft genug fühle ich mich schlecht, wenn ich etwas geschenkt bekomme, aber so gar keine Chance habe, mich zu revanchieren. Zu lernen, Geschenktes anzunehmen in dem Vertrauen, dass irgendwann der Tag kommt, an dem ich dem Geber etwas zurück geben kann – das ist eine meiner größten Lektionen.

Und zurück geben werde ich. Ganz sicher. Sobald ich genug Geld verdiene und wir finanziell unabhängig sind, werde ich nicht nur meinen Freunden das geliehene Geld zurückzahlen. Ich werde auch jemanden, der Hilfe braucht, unterstützen. Um zu verhindern, dass dieser Jemand in die Hartz IV Mühle gerät.
Die Vorstellung, das eines Tages tun zu können, erhält mich aufrecht. Genau so wie die Zaubersprüche meiner kleinen Tochter. Und ihr Gezeter, wenn die Ampel trotz aller Zauberei einfach nicht grün werden will.
Oder der Earl Grey Tee für 99 Cent die Packung. Ich weiß, Billig-Teebeutel sind ein Graus für jeden echten Teeliebhaber. Egal. Es schmeckt wunderbar.
Der Satz „Du bist voll cool, Mama!“ von meinem pubertierenden Sohn.
Eine Rezension für meinen Roman, in dem von einem „echten Wohlfühlbuch“ die Rede ist.
Die Eins in Deutsch, die meine Große mit nach Hause bringt. Auch wenn es die fünfte in Serie ist
Die fünf Minuten auf dem Balkon, ungestört, mit einer Tasse Cappuccino, um mit Blick auf eine Reihe großer alter Bäume den Tag ausklingen zu lassen, bevor die Kleine ins Bett muss.
Ein ganz lieber Mensch, der aus dem Ausland anruft, nur um mir schnell zu sagen, dass er mich toll findet.
Kerzenlicht Milvas Hurrah, wir leben noch!. Genau so wie I will survive von Gloria Gaynor. Oder Bridge over troubled water von Simon and Garfunkel. Fürchterliche Klischees, oder? Aber diese Musik zu hören hilft wirklich. Meistens jedenfalls.
Zum Schluss muss ich gleich noch mal in die Klischee-Kiste greifen. Es klingt schrecklich, ja, aber ich schreibe es trotzdem: Wir haben sehr wenig Geld. Aber wir sind alles andere als arm.

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Nele Böhm Kolumne: Hartz IV - die ungeschminkte Wahrheit 1, Intro


2008-12-01 Nele Böhm, Wirtschaftswetter
Text: ©Nele Böhm
Fotos Themenbanner: ©Cornelia Schaible
Illustration: ©Angelika Petrich-Hornetz
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